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Lucy

Lucy

Titel: Lucy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Gonzales
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nicht doch recht hatte. Vielleicht sollte sie ihn heiraten.
    Weiterhin zu schaffen machte ihr diese Schulpsychologin, und die war eine professionelle Schnüfflerin. Dr.   Mayer war ein harter Brocken. Kurz zog Jenny sogar ernsthaft in Erwägung, Lucy zu Hause zu unterrichten. Aber wie sollte Lucy sich dann je an die Gesellschaft hier anpassen können? Von Amanda hatte sie bereits Dinge gelernt, die Jenny ihr nie hätte beibringen können   – wie Teenager sich unterhielten, |128| kleideten, benahmen, in Cliquen einfügten. Eines Nachmittags hatte Jenny Stimmen aus Lucys Zimmer gehört und heimlich hineingespäht, um zu sehen, ob sie Besuch hatte. Doch sie hatte nur Lucy entdeckt, die vor dem Standspiegel posierte und Ausdrücke wie »cool«, »super« und »wow« ausprobierte. Einmal warf sie sich in eine trotzige Haltung und rief: »Hey, geht’s noch!«
    So leise sie konnte schlich Jenny sich wieder davon und dachte nur: Oh Gott, sie verwandelt sich vor meinen Augen in einen amerikanischen Teenager. Bald schon würde sie sich Gedanken über den Abschlussball der Highschool machen müssen, und sogar über Sex. Wenn Lucy eine Einladung zu dem Ball bekommen würde, wäre sie immer noch die jüngste unter lauter älteren Schülern. Doch hatten sie eine Alternative? Sollten sie beide etwa zu Einsiedlern werden?
    Solche Gedanken beschäftigten Jenny in den ersten Monaten von Lucys Schulzeit. Sie würde immer daran arbeiten müssen, die wahre Identität des Mädchens zu verbergen, das wusste sie. Doch für den Fall, dass ihre schlimmsten Befürchtungen wahr wurden, war Jenny endlich eine Idee gekommen. Sie musste demnächst nach Milwaukee hinauffahren und sich mit Donna treffen.

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    Lucy kam bedrückt aus dem Büro der Schulpsychologin. Jenny   – Mom, wie sie sie jetzt nannte   – hatte sie gefragt, ob sie die Notizbücher ihres Vaters vorsichtshalber verbrennen dürfe. Doch Lucy hatte gezögert. Diese Notizbücher waren das Einzige, was ihr von ihm geblieben war. Und sie waren der Beweis dafür, dass sie wirklich war, was sie war. Wenn sie vernichtet wurden, würde Lucy sich immer und ewig fragen, ob das Ganze nicht nur ein verrücktes Hirngespinst gewesen war.
    Lucy graute es vor der ersten Unterrichtsstunde, denn sie hatte Sport, und sie wollte auf keinen Fall auf dem Weg zur Turnhalle dem Trainer der Ringkämpfer über den Weg laufen. Doch da war er schon, gerade so, als hätte er auf sie gewartet. Lucy versuchte einen Bogen um ihn zu machen, und senkte den Blick. Aber er kam direkt auf sie zu.
    »Es tut mir alles sehr, sehr leid«, sagte Lucy sofort und versuchte dabei, Amandas Tonfall nachzuahmen.
    Mit einer wegwerfenden Handbewegung schnitt ihr der Mann das Wort ab. »Vergiss es. Ich musste das Theater mitmachen, aber der Kerl, den du da durch die Turnhalle geworfen hast, ist ein Arschloch. Entschuldigung. Ein Idiot. Dem hat’s nicht geschadet, dass ihm mal jemand eine Lektion erteilt hat. Ich vermute, dass er Anabolika einnimmt, aber die Schule will einem Test nicht zustimmen.«
    Lucy hatte nicht die leiseste Ahnung, wovon der Mann sprach. »Danke. Es tut mir wirklich sehr leid, was ich gemacht habe.«
    |130| »Ach was, das muss dir nicht leidtun. Um ehrlich zu sein, unser Ringkampfteam ist Kacke. Entschuldigung. Ich meine, wir sind Tabellenletzter. Vor etwa fünfzehn Jahren waren wir Schulmeister auf Bundesstaatsebene, aber seitdem hinken wir bloß noch hinterher. Ich bin mit meinem Latein langsam am Ende.«
    »Sie sprechen Latein mit den Ringern?«
    »Herrgott, nein, ich kann nicht mal Latein. Das ist doch bloß so eine Redensart. Ach, tut mir leid. Jetzt habe ich ganz vergessen, dass du ja nicht von hier bist. Hör zu, probier’s doch mal aus mit dem Team. Tja, da kannst du mal sehen, wie verzweifelt ich bin. Aber ich brauche dringend frisches Blut.«
    »Frisches Blut?«
    »Tut mir leid. Noch so eine Redensart. Weißt du, alle Schulen haben heutzutage Mädchen in ihren Ringkampfteams. Von wegen Gleichberechtigung und all dem Quatsch, aber einige von denen sind gar nicht mal so schlecht. Hättest du nicht Lust, im Ringkampfteam mitzumachen, Lucy? Das wollte ich dich eigentlich fragen.«
    »Warum sollte ich da mitmachen?«
    »Um zu gewinnen.«
    »Um was zu gewinnen?«
    »Herrgott. Da geht’s um Ruhm und um Ehre. Um die Schule, verstehst du. Um den guten alten Teamgeist. Tu was Gutes für deine Schule, und die Leute werden dich respektieren.«
    »Verstehe. So wie man auch Status gewinnt in einer

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