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Lucy

Lucy

Titel: Lucy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Gonzales
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ruhig. Wartet, bis wir zu Hause sind.«
     
    Jenny saß auf dem Bett des muffigen Motelzimmers und ging in so rasender Geschwindigkeit alle Möglichkeiten durch, dass ihr schier der Kopf zu platzen drohte. Sie nahm ein Schmerzmittel ein, und nachdem sie eine halbe Stunde lang unter der Dusche gestanden hatte, waren die Kopfschmerzen wieder weg. Dann zog sie sich frische Kleider an, fuhr zurück ins Krankenhaus und löste Amanda an Lucys Bett ab, so dass auch sie duschen gehen konnte. Sie wollte es nicht riskieren, Lucy allein zu lassen. Lucy schlief, und Jennys Gedanken wanderten wieder einmal zu der Frage, wie sich ihr Leben in nächster Zeit verändern würde. Vor ihrem inneren Auge erstand eine Liste all jener Gruppen, die sich mit großer Leidenschaft an dem öffentlichen Zirkus beteiligen würden, sobald er begann. Die Fanatiker. Jenny versuchte sich ein Happy End auszumalen, doch es wollte ihr nicht gelingen.
    |189| Als Amanda zurück war, sagte Jenny zu ihr: »Ich muss jetzt erst mal schlafen, denn ich muss nachdenken. Und das kann ich nicht, solange ich nicht etwas geschlafen habe.«
    »Ich passe so lange auf Lucy auf«, erwiderte Amanda. »Legen Sie sich ruhig hin. Uns passiert schon nichts.«
    »Ruf mich auf jeden Fall an, wenn nötig. Ich habe mein Handy dabei.«
    Im Motel schlief Jenny so tief und fest, dass sie erst im Morgengrauen wieder aufwachte. Sie konnte sich nicht einmal erinnern, welcher Tag war, zog sich hastig an und eilte ins Krankenhaus zurück. Amanda und Lucy spielten Schach, eine der Krankenschwestern hatte ihnen ein Spiel gekauft. Die Mädchen lächelten, als Jenny ins Zimmer trat.
    »Es tut mir so leid, Amanda«, sagte Jenny. »Ich habe die ganze Nacht durchgeschlafen, das wollte ich gar nicht. Du musst völlig erschöpft sein.«
    »Schon okay. Ich habe auch ein bisschen geschlafen.«
    Dr.   Syropoulos kam gegen sieben Uhr. Als sie ihn in der Tür stehen sah, verkrampfte sich Jennys Magen. Er bat sie, mit in sein Büro zu kommen, und Jenny ließ Amanda wieder mit Lucy allein.
    Dr.   Syropoulos schloss die Tür seines Büros hinter sich. »Die Ergebnisse aus dem Labor sind da, und ich habe auch gleich ein paar Recherchen angestellt.« Es war das, was Jenny erwartet hatte. Jetzt weiß er es, dachte sie. Er weiß nur noch nicht genau, womit er es zu tun hat. »Hat Lucy irgendwelche gesundheitlichen Probleme?«, fragte er. »Oder Normabweichungen? Geistige Defizite? Auffälligkeiten im Verhalten? Irgendetwas, das nicht dem Üblichen entspricht?«
    »Nein, sie ist ein ganz normaler Teenager. Warum fragen Sie?« Jenny wusste nur zu gut, warum er fragte.
    »Nun, ihr genetisches Profil ist höchst ungewöhnlich. Sie |190| hat irgendeine angeborene Anomalie. Ich verstehe es nicht ganz, es ist nicht mein Fachgebiet.«
    »Was für eine angeborene Anomalie? Sie ist vollkommen normal.« Jenny würde weiterhin versuchen, auf Zeit zu spielen, auch wenn es nur noch um ein paar Tage ging. Sollte er sich doch allein mit dem Problem abmühen.
    »Ich will Ihnen meinen Eindruck schildern«, begann Dr.   Syropoulos. »Es wird ziemlich verrückt klingen, ich weiß. Aber seien Sie nachsichtig mit mir.«
    Jenny erwiderte nichts.
    »Also. Ich habe mich nach unserem Gespräch gestern ein bisschen kundig gemacht über Sie. Und ich habe herausgefunden, dass Sie neben Ihrer Lehrverpflichtung an der Universität auch als Primatologin im Kongo Bonobos beobachten.«
    »Ja, das stimmt. Ist das irgendwie wichtig?«
    »Dann dürften Sie wissen, Dr.   Lowe, dass Bonobos zu 98   Prozent genetisch identisch sind mit dem Menschen. Ich wusste ehrlich gesagt bis gestern nicht einmal, was Bonobos sind.«
    Jenny bedachte ihn erneut mit Schweigen.
    »Aber es gibt auch deutliche Unterschiede«, fuhr Dr.   Syropoulos fort. »Die Gensequenz für den Aminosäuren-Stoffwechsel der Bonobos ist zum Beispiel völlig anders als beim Menschen. Vermutlich können Bonobos deshalb Fleisch nicht allzu gut verdauen.«
    Wieder trat Schweigen ein. Dr.   Syropoulos schien auf ihre Zustimmung zu warten, doch Jenny reagierte nicht.
    »Außerdem gibt es Unterschiede im Alpha-Tectorin-Gen. Und das zum Haarkeratin gehörende Protein ist auch anders.«
    »Ja, das weiß ich alles«, sagte Jenny, als würde sie langsam ungeduldig. »Und warum erzählen Sie mir das nun?«
    »Weil Lucy dieses Genmaterial hat. Ihr Erbgut scheint aus |191| einer Kombination von menschlichen Genen und Bonobo-Genen zu bestehen. Ihr Haar und ihre Haut zum Beispiel sind

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