Lucy
nicht genau wie beim Menschen. Fast, aber nicht ganz identisch. Ihre Gensequenz für den Aminosäuren-Stoffwechsel unterscheidet sich ebenfalls recht deutlich. Ich habe es selbst im Microarray-Sequenzierer gesehen, sonst hätte ich es nicht geglaubt.«
»Das klingt wirklich verrückt«, entgegnete Jenny.
»Ja, ich weiß.« Dr. Syropoulos hielt kurz inne. »Isst Lucy Fleisch?«, fragte er dann.
»Natürlich isst sie Fleisch.«
»Wirklich? Das Fleisch, das die Diätschwester ihr angeboten hat, wollte sie nicht. Lucy hat einige Gene eines Bonobos.«
»Das ist doch unmöglich.«
»Ich weiß, das sollte man annehmen. Es tut mir leid, aber ich erzähle Ihnen nur, was ich gesehen habe. Das Ganze ist höchst rätselhaft. Ich meine, mein erster Gedanke war, dass es sich um eine verunreinigte Blutprobe handeln muss. Aber wissen Sie, um eine mit Bonoboblut verunreinigte Blutprobe eines Menschen zu bekommen, müsste man erst einmal Bonobos haben. Doch hier in der Nähe gibt es keine – das habe ich überprüft –, erst wieder im Zoo von Milwaukee, und der ist eine zehnstündige Autofahrt entfernt. Das Blut wurde Lucy sofort nach ihrem Eintreffen hier abgenommen, und die Krankenschwester, die es gemacht hat, kenne ich persönlich. Daher …« Einen Moment lang hing ein lastendes Schweigen zwischen ihnen, ehe Dr. Syropoulos fortfuhr. »Und dann der Umstand, dass Sie Primatologin sind und im Dschungel mit Bonobos arbeiten … Das scheint mir doch ein höchst bemerkenswerter Zufall, finden Sie nicht? Aber Sie sagen, Sie wissen nichts darüber.«
»Leider nicht, nein.«
|192| »Denn wenn es sich bei Lucys DNA um eine natürliche Mutation handelt, die sie eventuell anfällig macht für eine schwere Krankheit, die bislang nur bei Tieren vorkommt – Bonobos können übrigens an Enzephalomyokarditis erkranken –, dann ist das einen Aufsatz in einer wissenschaftlichen Zeitschrift wert. Und die Gesundheitsbehörde wird sicher auch wollen, dass Lucys Fall weiter untersucht wird. Sollte es allerdings keine natürliche Mutation sein … Nun, dann weiß ich nicht, was ich davon halten soll.«
Jenny blieb stumm.
»Ihnen fällt dazu nichts ein?«, fragte Dr. Syropoulos. »Gar nichts?«
»Ich fürchte nein«, erwiderte sie. Er war ein kluger und wissbegieriger Mann, der über Lucy noch nachdenken würde, wenn er nachts um drei aufwachte. Doch auch wenn er selbst nichts unternahm, die Gesundheitsbehörde würde es mit Sicherheit tun. Dr. Syropoulos war gesetzlich verpflichtet, ihr davon zu berichten.
»Dr. Lowe, ich versuche Ihnen zu helfen. Ich stehe natürlich unter ärztlicher Schweigepflicht. Aber ich habe den Eindruck, Sie verheimlichen mir etwas. Und ich wüsste gern, was. Ich meine, Sie sind Wissenschaftlerin. Versetzen Sie sich in meine Lage. Würden Sie es nicht herausfinden wollen?« Er hielt kurz inne. »Dr. Lowe, bitte. Ich bin nicht von der Polizei.«
Bei der Erwähnung der Polizei lief es Jenny kalt den Rücken herunter. Das würde noch früh genug kommen. »Wann, glauben Sie, darf Lucy wieder nach Hause?«, fragte sie.
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MEMORANDUM
VON: Dr. med. M.George Glandon, Abtlg. Viruserkrankungen, Zentrum für Immunisierung und Atemwegserkrankungen der Amerikanischen Gesundheitsbehörde
AN: Gesamtverteiler Gesundheitsbehörde/Seuchenbekämpfung
KLASSIFIZIERUNG: keine Verschlusssache
ZUSAMMENFASSUNG: Eine jüngst beim Menschen aufgetretene Infektion mit einem Enterovirus (EMCV 30 / 87) erfordert Untersuchungen zum Mensch-Tier-Kontakt unter besonderer Berücksichtigung nicht-menschlicher Primaten. EMCV 30 / 87 tritt normalerweise nur bei Schweinen, Mäusen, Ratten, Kaninchen und nicht-menschlichen Primaten wie Menschenaffen auf. In einem Bericht an die Abtlg. Viruserkrankungen des Zentrums für Immunisierung und Atemwegserkrankungen der Gesundheitsbehörde beschreibt Dr. med. P. Syropoulos (Dir. Innere Medizin, Mercy Hospital, Duluth, Minnesota) den Fall einer sechzehn Jahre alten Patientin, die mit schwerem Fieber und einer potenziell tödlich verlaufenden Infektion von Enzephalomyokarditis 30 / 87 eingeliefert wurde. Sie wurde mit |194| PLL behandelt und in gutem Zustand entlassen. Ein genetisches Profil der Patientin zeigte Normabweichungen, die auf eine erhöhte Anfälligkeit für das Enterovirus schließen lassen. Der Grund ist in einer Mutation nicht des Virus (Anpassung an den Menschen), sondern des menschlichen Genoms (erhöhte
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