Lucy
einem Arzt in Duluth, Minnesota, nicht bekannt wäre.
Schließlich sprach er weiter. »Menschen können an der Variante 30 / 87 nicht erkranken. Und das führt uns zu der interessanten Frage: Wie kommt Lucy zu einer Krankheit, die nur bei Schweinen, Mäusen, Ratten, Hasen und nichtmenschlichen Primaten auftritt? Ich frage mich, ob das Virus vom Tier auf den Menschen übergesprungen ist, so wie es manchmal vorkommt. In dem Fall wäre nämlich eine ernste |183| Bedrohung für die öffentliche Gesundheit gegeben. Verstehen Sie, worauf ich hinauswill …?«
Das Schweigen schien sich länger und länger hinzuziehen, während Jenny dastand und versuchte, klar zu denken. Amanda kaute an den Nägeln und sah erwartungsvoll vom einen zum anderen. Jenny sagte sich, dass Dr. Syropoulos noch keine Beweise hatte. Er mutmaßte nur, und bis jetzt waren seine Mutmaßungen falsch, denn er war auf der Suche nach einer Anomalie beim Virus, nicht bei Lucy.
»Also, müssen wir uns nun Sorgen machen oder nicht?«, fragte Amanda.
»Genau das ist die Frage«, sagte der Arzt. »Ich glaube nicht, dass in diesem Fall ein Virus von einer Spezies auf die andere übergesprungen ist. Denn wenn ein Virus das tut, müssen gewisse Anpassungen seines Erbguts vorhanden sein. Wir haben über Nacht ein paar Untersuchungen gemacht …« Hier hielt Dr. Syropoulos wieder inne, so als habe er ein besonders heikles Thema anzusprechen. Jennys Hoffnungen, ihn auf eine falsche Fährte locken zu können, schwanden. Es ist aus, dachte sie. Jetzt können wir es nur noch hinauszögern.
»Was denn jetzt?«, hakte Amanda nach. »Kann ich es nun auch bekommen oder nicht?«
»Ich denke, ich kann dir versichern, dass du diese Krankheit nicht bekommst, Amanda. Es ist exakt dasselbe Virus, an dem Tiere erkranken, ohne die Mutationen, die nötig wären, damit es für den Menschen ansteckend ist.«
»Aber wie hat Lucy es dann bekommen?«
»Das frage ich mich auch«, erwiderte Dr. Syropoulos.
»Wissen Sie was? Lucy wurde von einem Kaninchen gekratzt, als wir im Wald waren«, sagte Amanda.
»Das hast du mir gar nicht erzählt«, warf Jenny ein.
»Es war nur ein kleiner Kratzer. Sie sagte, es sei nichts weiter.« |184| Amanda wandte sich wieder an Dr. Syropoulos. »Aber selbst wenn. Sie haben doch gerade gesagt, das Virus könnte nie für einen Menschen ansteckend sein.«
»Das stimmt. Aber ein Kaninchen, das das Virus trägt, könnte andere Tiere anstecken.«
»Das verstehe ich jetzt nicht. Was soll das heißen?«
»Das heißt, dass du nicht krank werden wirst. Sag deiner Mutter, dass sie sich keine Sorgen machen muss.« Er wandte sich an Jenny. »Aber das erklärt noch nicht, wie Lucy das Virus von einem Kaninchen bekommen haben kann – wenn es denn so war. Wir machen gerade eine vollständige Untersuchung von Lucys Erbgut, das könnte vielleicht ein wenig Licht in diese ziemlich rätselhafte Angelegenheit bringen. Sie können sich nicht vorstellen, warum –«
»Nein, ganz und gar nicht«, erwiderte Jenny.
»Okay. Nun, in der Zwischenzeit können Amanda und Sie gern bei Lucy bleiben, wenn Sie wollen. Oder Sie ruhen sich ein wenig aus. Am Empfang kann man Ihnen eine Liste von Motels in der Nähe geben. Lucy befindet sich in guten Händen, und ich habe ihr etwas gegeben, damit sie schläft. Sie wird wieder ganz gesund werden. Haben Sie noch irgendwelche Fragen?«
Jenny war sicher, dass die Wahrheit Dr. Syropoulos noch nicht in den Sinn gekommen war. Darauf würde er wohl auch erst kommen, wenn er Lucys vollständiges genetisches Profil sah. Es war einfach zu weit hergeholt. »Nein. Vielen Dank, Dr. Syropoulos.«
Während sie mit Amanda den Korridor entlangging, versuchte Jenny, irgendeine Möglichkeit zu ersinnen, wie sie die Untersuchung von Lucys Erbgut verhindern könnte. Aber sie wusste, dass Dr. Syropoulos als verantwortungsbewusster Arzt darauf nicht verzichten konnte. Verzweifelt dachte sie |185| sogar daran, Lucy aus dem Krankenhaus zu entführen und mit ihr zu verschwinden. Doch sie hatten ja bereits ihre Blutprobe. Und Lucy brauchte noch Behandlung.
Jenny und Amanda kehrten in Lucys Zimmer zurück und setzten sich jede an eine Seite des Bettes. Die Infusionspumpe gab einmal in der Minute ein surrendes Geräusch von sich, wenn sie Flüssigkeit in Lucys Ader pumpte. Im Krankenhaus gab es alle möglichen seltsamen, dringlichen Geräusche. Jenny wusste, was Lucy sagen würde: Dies ist ein Ort, an dem man nicht
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