Lucy
Anfälligkeit der Patientin für das Virus) zu vermuten. Dieser uneindeutige Befund verdient weitere Beachtung, mit besonderem Augenmerk auf die Frage, ob Dr. Syropoulos’ Untersuchungsmethoden ausreichend und seine Schlussfolgerungen korrekt waren. Auch eine verunreinigte Blutprobe ist denkbar.
EMPFEHLUNG: Die Gesundheitsbehörde wird eine saubere Blutprobe entnehmen und ein vollständiges genetisches Profil sowohl der Patientin als auch des Virus erstellen, um auf dieser Grundlage die erforderlichen Schritte einzuleiten.
GESETZLICHE GRUNDLAGE: 42 U.S.C. § 264, Vorschriften zur Kontrolle von Infektionskrankheiten
|195| 21
Jenny saß in der Küche, wo Lucy eine Banane mit Erdnussbutter aß. Lucy warf ihr einen beschämten Blick zu. »In der Schule schäle ich sie immer.«
»Da bin ich beruhigt«, erwiderte Jenny.
Jenny hatte vorgehabt, auf der Heimfahrt von Duluth noch in Milwaukee haltzumachen. Doch da Lucy krank gewesen war, fürchtete sie, dass das Mädchen eine Gefahr für die Bonobos dort im Zoo sein könnte. Also hatte sie noch mal mit Donna telefoniert, und auch Donna war der Ansicht gewesen, dass sie den Besuch lieber noch verschieben sollten.
Verlegen begann Lucy, nun doch ihre Banane zu schälen. Dann strich sie die Erdnussbutter auf das Fruchtfleisch, sah Jenny an und biss hinein. Jenny lächelte und wollte gerade etwas sagen, als das Telefon klingelte. Sie zuckte bei dem Geräusch zusammen und nahm den Hörer ab.
»Dr. Lowe, hier spricht Dr. Syropoulos. Ich hoffe, Sie sind wohlbehalten nach Hause gekommen.«
»Ja, danke.«
»Dr. George Glandon von der Gesundheitsbehörde bat mich, Sie anzurufen. Dort will man die Möglichkeit ausschließen, dass das Virus auf den Menschen übergesprungen ist und zu einer Gefahr für die öffentliche Gesundheit wird. Zu diesem Zweck wird eine neue Blutprobe von Lucy benötigt, man will noch eine weitere Analyse machen für den Fall, dass unsere Blutprobe doch irgendwie verunreinigt war.«
Jenny lehnte sich an den Küchentresen. Schon jetzt hatte |196| sie all das, was ihnen bevorstand, gründlich satt. Sie hatten ihr weiteres Vorgehen durchgesprochen, und im schlimmsten Fall blieb immer noch der Notfallplan mit Donna. Doch die Frage, mit der sich binnen kurzem die Welt konfrontiert sehen würde, lautete: Was war die angemessene Reaktion auf Lucys Existenz?
»Ja, sicher«, hörte Jenny sich selbst sagen. »Aber damit würde ich lieber noch etwas warten, bis Lucy wieder richtig bei Kräften ist.«
»Ich fürchte, diese Entscheidung liegt nicht bei uns«, erwiderte Dr. Syropoulos. »Die Gesundheitsbehörde hat gewisse rechtliche Befugnisse, wenn es darum geht, die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern. Man könnte Lucy notfalls zwingen, eine Blutprobe abzugeben. In der Behörde ist man, ehrlich gesagt, bereits ein wenig besorgt, dass sie das Krankenhaus verlassen hat. Denn auch wenn sie sich inzwischen wieder besser fühlt, das Virus ist noch in ihrem Körper. Und es muss untersucht werden. Nun, was ich eigentlich sagen will: Die Gesundheitsbehörde schickt noch heute jemanden zu Ihnen, eine Internistin von der Northwestern University. Die Blutabnahme dauert keine fünf Minuten.«
»Verstehe«, sagte Jenny und dachte: Wir müssen Amanda sofort Bescheid geben, dass sie rüberkommt. Es ist so weit, die Mädchen müssen sich an die Arbeit machen.
»Man wollte, dass ich Sie anrufe, da ich zurzeit ja de facto Lucys behandelnder Arzt bin.«
»Ja, natürlich.«
»Die Internistin heißt Roberta Dyson. Ich wollte nur, dass Sie auf ihren Besuch vorbereitet sind.«
Jenny legte auf. Sie fühlte sich wie auf Speed. Ihr raste all das durch den Kopf, was die nächsten Wochen und Monate bringen würden.
|197| »Was ist los?«, fragte Lucy, die zu essen aufgehört hatte und Jenny jetzt aufmerksam ansah. »Was ist, Mom? Was ist denn los?« Doch sie wusste, was los war. Sie hatten es alles auf der Fahrt vom Krankenhaus in Duluth nach Hause besprochen.
Es war eine lange Fahrt gewesen. Die Straße, auf der sie Duluth verließen, hatte sich über Meilen hinweg schnurgerade durch die Landschaft gezogen, quer durch Acker- und Weideland, das hier und dort zu einem Teich hin sanft abfiel. Dunkelgraue Wolken hatten sich am westlichen Himmel zusammengebraut, als sie die ausgedehnten Wälder von Wisconsin erreichten. Lucy entdeckte den Geruch von Rotwild, Füchsen und sogar von Wölfen. Irgendwo in der Nähe von Washburn sagte Jenny: »Ich finde,
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