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Lucy

Lucy

Titel: Lucy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Gonzales
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drehte sie ihn plötzlich mit unzähligen klickenden Bewegungen so rasend schnell, dass der Blick nicht mehr folgen konnte, bis jede der Flächen des Zauberwürfels nur eine einzige Farbe zeigte.
    »Krass, oder?«, rief Amanda.
    Dann wieder ein Bildschnitt. Nun sah man Amanda und Lucy auf dem Zweisitzersofa nebeneinandersitzen, inmitten all ihrer Stofftiere. Lucy blickte direkt in die Kamera. »So«, sagte sie, »nun wisst ihr alle also die Wahrheit über Lucy Lowe.«
    »Alias das Dschungelmädchen«, fügte Amanda mit einem Augenzwinkern hinzu.
    »Ach, und eins will ich noch loswerden«, schob Lucy hinterher. »Ich weiß, manche von euch werden total die Panik |212| kriegen wegen all dem. Manche werden mich vielleicht sogar hassen für das, was ich bin. Aber wie ihr alle habe auch ich nicht darum gebeten, auf diese Welt zu kommen. Und falls irgendetwas falsch ist an dem, was mein Vater getan hat, kann ich es trotzdem nicht mehr ändern   – das konnte ich damals nicht, und das kann ich auch heute nicht. Ich könnte wetten, dass es vielen von euch in irgendeiner Weise ganz ähnlich ergeht. Ich bin jedenfalls hier auf dieser Welt, und ich bin, was ich bin. Ich will nicht irgendwie besonders behandelt werden. Alles, was ich will, ist eine Chance auf ein normales Leben, aufs College gehen, einen Beitrag zur Gesellschaft leisten, solche Sachen eben. Also, ich weiß ja nicht, aber ich bin, glaube ich, ein relativ normales Mädchen, wenn man bedenkt, was ich alles erlebt habe.«
    Amanda legte Lucy den Arm um die Schultern. »Das ist sie. Absolut.«
    »So, und jetzt könnt ihr euch selbst ein Urteil bilden«, fuhr Lucy fort. »Aber egal, wie mein Erbgut auch aussieht, ich bin einfach ich.«
    »Oh, und vergesst nicht, auf Lucys Facebook- und MySpace-Seite vorbeizuschauen. Die sind echt klasse«, sagte Amanda noch. »Tschüss.«
    »Ja, tschüss!«, rief auch Lucy, »und vielen Dank euch allen fürs Zusehen.« Damit winkten die beiden ein letztes Mal in die Kamera, und der Bildschirm wurde wieder schwarz.
    Jenny klappte das Notebook zu, legte die Arme um die beiden Mädchen und zog sie fest an sich. Dann stieß sie einen tiefen Seufzer aus.
    »Was denkst du, Mom?«, fragte Lucy.
    »Ich denke, wir sollten dir ein paar neue Sachen zum Anziehen kaufen«, erwiderte Jenny. »Du wirst sicher im Fernsehen auftreten.«
     
    |213| Gegen fünf Uhr an diesem Morgen klingelte das Telefon. Es fiel immer noch ein sanfter Regen. Lucy hörte ihn auf die Blätter des Ahornbaums vor ihrem Fenster tropfen, dann hörte sie Jenny am anderen Ende des Flurs reden. Amanda schlief tief und fest, sie hatte nichts davon mitbekommen. Lucy stand auf und ging zu Jenny, die aufrecht im Bett saß.
    »Was? Sie wollen, dass wir
jetzt
ins Flugzeug steigen?«, rief Jenny gerade in den Telefonhörer. Dann: »Nein, das ist es nicht. Es ist einfach so, dass es hier erst fünf Uhr morgens ist. Wir brauchen unseren Schlaf. Können Sie nicht später noch mal anrufen?« Und damit legte sie auf.
    »Wer war das, Mom?«, fragte Lucy.
    »Jemand von der Nachrichtensendung
Good Morning America
. Sie wollen, dass wir nach New York fliegen und zu ihnen ins Fernsehstudio kommen. Wie haben die nur so schnell davon erfahren?«
    »Wow. Fliegen wir da heute noch hin?« Lucy fand es aufregend.
    »Nein, für so etwas bleibt noch Zeit genug. Geh wieder schlafen. Du bist sehr krank gewesen«, erwiderte Jenny. »Oh, und zieh bitte den Telefonstecker heraus, ja?«
    »Klar, Mom.« Lucy tat es. Dann ging sie zurück in ihr Zimmer und legte sich wieder neben Amanda, die leise vor sich hin schnarchte. Sie beide hatten im Vorfeld alles gründlich berechnet. Begonnen hatten sie damit, allen, die in ihren Adressbüchern standen, davon zu erzählen, größtenteils Leute, die sie aus der Schule kannten. Amanda hatte die Neuigkeit per SMS und Twitter verbreitet und sie auch auf ihrer MySpace- und Facebook-Seite angekündigt. Sie hatten jeden gebeten, sich das Video anzuschauen und dann allen Freunden davon zu erzählen. Wenn jeder Einzelne es nur zwanzig anderen erzählte, so hatte Lucy ausgerechnet, dann würde nach |214| nur sieben Stufen schon mehr als eine Milliarde Menschen davon wissen. Und außerdem würden die Leute in ihren Blogs darüber schreiben und die Nachrichtenstationen darauf aufmerksam werden.
    Als sie schließlich wieder aufwachten, war es schon fast zehn Uhr. Der Regen hatte aufgehört, und Sonnenlicht fiel durch die Küchenfenster. Ein Roter Kardinal saß auf dem obersten

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