Lucy
Ast des Ahornbaums und stieß ein ums andere Mal die für ihn so typischen Pfeif- und Flötentöne aus. Jenny lief mit dem Telefonhörer am Ohr in der Küche herum, hörte die Anfragen auf dem Anrufbeantworter ab und diktierte Amanda Namen und Telefonnummern. Lucy stand am Herd und machte ein Schmelzkäse-Omelett mit Salsa und warmen Tortillas. Amanda hatte das Schmelzkäse-Salsa-Omelett zum »allerleckersten Frühstück überhaupt« erklärt.
Dann ertönte plötzlich
American Girl
. Es war Amandas Handy, sie hatte sich den Song als neuen Klingelton heruntergeladen. Sie warf einen Blick auf das Display.
»Oje, das ist meine Mutter.« Sie hob ab. »Hi, Mom.«
»Hast du die Nachrichten gesehen?«, drang es verärgert an Amandas Ohr. Amanda ahnte vermutlich immer noch nicht, dass auch Lucy ihre Mutter sehr deutlich hören konnte. »Was soll denn das für ein hirnverbrannter Unsinn sein? Ich finde das überhaupt nicht lustig.«
»Das ist kein Unsinn«, erwiderte Amanda.
»Also, du kommst jedenfalls augenblicklich nach Hause.«
»Lucy ist meine beste Freundin, Mom. Ich muss bei ihr bleiben.«
»Ein Affe kann nicht deine beste Freundin sein«, schrie ihre Mutter. Lucy spähte zu Jenny hinüber, um zu sehen, ob sie es auch hören konnte. Aber Jenny war noch immer mit ihrem eigenen Telefon beschäftigt.
|215| »Was redest du denn da?«, rief Amanda. »Hast du etwa getrunken?«
»Das steht hier nicht zur Debatte. Du kommst jetzt sofort nach Hause.«
»Nein. Lucy braucht mich. Wir haben eine Million Dinge zu erledigen.«
»Du bist noch nicht volljährig, junge Dame, und die Regeln stelle immer noch ich auf.«
»Ich werde in einer Woche achtzehn, Mutter! Und ich bleibe hier! Wenn es dir lieber ist, kann ich ja zu Dad nach New York ziehen.«
Amandas Mutter schwieg eine Weile, ehe sie sagte: »Nun, wenn dieses Mädchen das ist, was sie zu sein vorgibt, wird es dir noch leidtun, dass du sie überhaupt je kennengelernt hast.«
»Tut mir leid, wenn du das so siehst«, erwiderte Amanda bloß und legte auf, ohne sich zu verabschieden. Sie stützte das Kinn in die Hand und begann an ihren Nägeln herumzukauen.
»Das war aber heftig«, sagte Lucy.
»Meine Mutter kann so eine Ignorantin sein.«
»Würdest du wirklich nach New York ziehen?«
»Natürlich nicht.«
Jenny hörte immer noch Nachrichten ab und schrieb jetzt selbst die Telefonnummern auf Amandas Notizblock. Dann war sie fertig und legte das Telefon auf den Küchentresen.
»Was ist denn?«, fragte Jenny, als sie Amandas Miene sah.
»Das eben war meine Mutter. Sie will, dass ich nach Hause komme und nichts mehr mit Lucy zu tun habe. Was natürlich überhaupt gar nicht in Frage kommt.«
Es klingelte an der Haustür.
»Was zum –«, begann Jenny. »Wer ist denn das? Amanda, |216| gehst du bitte mal nach oben und schaust aus dem Fenster? Aber pass auf, dass man dich nicht sehen kann.«
»Okay«, sagte Amanda und rannte schon die Treppe hinauf.
Lucy verstand es nicht ganz. »Warum das denn, Mom?«
»Es gibt da draußen jede Menge Verrückte. Und ich habe ja nicht mal eine Ahnung, welchen rechtlichen Status du eigentlich hast. Ich weiß nicht. Ich weiß nicht. Du bist erst sechzehn, und so langsam bekomme ich es ein wenig mit der Angst zu tun.«
»Amandas Mutter hat mich einen Affen genannt.«
»Das hast du gehört?« Jenny hielt inne. »Ja, natürlich hast du es gehört. Siehst du? Wir können nie wissen, wie die Leute reagieren werden. Von jetzt an müssen wir vorsichtig sein. Es gibt Leute, die schießen sogar in Schulen wild um sich. Ich meine, wer weiß, was alles passieren könnte?«
Es war so spannend gewesen, das Video zu machen, dass Lucy die Risiken darüber vergessen hatte. Es war so aufregend gewesen, die ganze Nacht daran zu arbeiten und Amanda und sie hatten sich von dem Gefühl mitreißen lassen, dass sie die Initiative ergriffen hatten und etwas Kühnes und Aufregendes taten. Doch jetzt holten Jennys Worte sie in die Realität zurück.
Amanda kam die Treppe wieder heruntergerannt. »Im Garten stehen ungefähr tausend Reporter, mit Übertragungswagen und allem Drum und Dran.«
»Woher wissen die, wo wir wohnen?«, fragte Lucy.
»Ich stehe im Buch«, sagte Jenny.
»In was für einem Buch?«, fragte Amanda.
»Im Telefonbuch. So was kennst du wahrscheinlich gar nicht, oder?«
Amanda wirkte verwirrt. »Doch, ich glaube, meine Mutter hat eins … irgendwo.«
|217| »Was tun wir jetzt?«, fragte Lucy.
»Ich werde ihnen sagen, dass
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