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Lucy

Lucy

Titel: Lucy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Gonzales
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keuchend da und hielten sich die Bäuche. »Also echt«, sagte Amanda, »du weißt wirklich, wie man die Welt auf den Kopf stellt, Mädel.«

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    Amanda hatte die Befehlsgewalt über Lucys Kleidung an sich gezogen. »Wie wär’s mit den Sixties? Was hältst du davon?«
    »Was heißt das, Sixties?«, fragte Lucy.
    »Ich meine die Mode aus der Zeit. Die 1960er Jahre.«
    »Du fragst mich nach meiner Meinung in Sachen Mode?«
    Ihnen blieb gerade noch Zeit genug, um in eine Vintage-Boutique zu gehen, die Amanda im East Village kannte. Jenny hatte den Mädchen erlaubt, allein einkaufen zu gehen. In Manhattan. New York. Wer hätte sich so einen Ort auch nur im Traum vorstellen können? Der Lärm, die grellen Farben überall, die Lichter am Times Square, der in weißen Säulen von den Straßen aufsteigende Dampf, so als würde im Innern der Stadt ein ewiges Feuer glühen   – das alles nahm Lucy fast den Atem. Sie musste sich zwingen, sich nicht so stark auf jede Einzelheit zu konzentrieren.
    In der Boutique suchte Amanda die Ständer durch und kam schließlich mit einem Kleid wieder, das ihr gefiel. »Was meinst du?«, fragte sie Lucy und hielt es ihr vor den Körper. »Das ist super geschnitten, mit der A-Linie und den Trompetenärmeln. Das, und eine lange Kette mit Anhänger. Ich hab da genau das Richtige.«
    Lucy hatte keine Ahnung, wovon Amanda sprach, aber sie zog alles an. Und stöckelte früh am nächsten Morgen unsicher auf hohen Absätzen einer Frau hinterher, die sie in eine große dunkle, höhlenartige Halle führte und durch ein Gewirr von Kameras und Aufnahmegeräten, die von schemenhaften Gestalten |224| bedient wurden. Überall schlängelten sich Kabel über den Boden. »Pass auf, wo du hintrittst«, warnte die Frau sie. Die dunklen Schatten der Techniker beugten sich über ihre Arbeitsplätze und spähten auf gedämpfte rote und grüne Lichter.
    Sie gingen weiter, bis sie in ein grelles Licht traten, wo eine blonde Frau in einer Art freistehendem Wohnzimmer saß, das anscheinend unerklärlicherweise einfach so mitten in diese Halle versetzt worden war. Die Frau saß in einem beigefarbenen Sessel und lächelte so strahlend, als hätte sie den Verstand verloren. Das also war sie, dachte Lucy, die Illusion. Aus dieser Unordnung heraus entstand das saubere Bild, das man auf dem Fernsehbildschirm zu sehen bekam.
    Die blonde Frau sprang auf und umarmte sie. »Oh, mein liebes, liebes Mädchen, ich freue mich ja so, dich endlich kennenzulernen. Willkommen. Willkommen. Ich bin Diane.« Dann setzte sie sich breit lächelnd wieder und fügte entschuldigend hinzu: »Ich kann nicht allzu weit gehen. Mein Mikrofon.«
    »Danke schön«, sagte Lucy und setzte sich in den anderen beigen Sessel vor dem überdimensionalen Fernsehbildschirm, auf dem »Good Morning America« stand. Ein Techniker kam zu ihr und befestigte Lucys Mikrofon.
    Ein zerzauster Mann mit Kopfhörern auf den Ohren, dem fast die Jeans herunterrutschte, trat vor. »Zehn Sekunden, Diane«, sagte er. Diane lächelte Lucy zu und hob einen Finger, als wollte sie sagen: Einen Moment noch.
    Lucy sah, wie der Mann mit den Fingern lautlos einen Countdown herunterzählte: fünf, vier, drei, zwei, eins   – und dann auf die Frau zeigte, die in die Hände klatschte und jemanden anstrahlte, der gar nicht da war.
    »Wir haben das große Glück, heute einen ganz besonderen |225| Gast bei uns begrüßen zu können: Lucy Lowe. Sie alle haben sicher schon davon gehört, doch nur für den Fall, dass es jemandem entgangen ist: Lucy ist nur zur Hälfte Mensch. So erstaunlich es auch klingen mag. Aber Lucys Mutter war ein Menschenaffe. Lucy, herzlich willkommen.«
    »Vielen Dank.« Lucy sah verschiedene Fernsehbildschirme vor sich aufflimmern und versuchte herauszufinden, wohin sie schauen sollte. »Tut mir leid, ich war noch nie auf dieser Seite des Fernsehbildschirms.«
    Die Frau lachte. »Das macht gar nichts. Dafür haben wir alle Verständnis. Nun, fangen wir gleich an. Zuerst einmal, von der Gesundheitsbehörde haben wir erfahren, dass es sich bei deiner Geschichte nicht um einen Schwindel handelt.«
    »Nein, es ist kein Schwindel.«
    »Dann erzähl uns doch mal, wie es ist. Wie fühlt man sich als jemand, der nur zur Hälfte Mensch ist?«
    »Ja. Klar.« Lucy dachte einen Moment lang nach, während ihr Gesicht von Kontinent zu Kontinent schnellte und hinein in Wohnzimmer, Büros, Restaurants, Flughafen-Lounges und Krankenhäuser. Lucys Bild stand vor der Welt,

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