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Lucy

Lucy

Titel: Lucy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Gonzales
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Lucy wusste: Er war wirklich gefährlich.
    |244| Die Journalisten begannen, ihnen durch den Zaun Fragen zuzurufen. Die Polizisten bahnten ihnen unbeeindruckt einen Weg durch die Menge zu Harrys Auto.
    »Lucy, was hältst du von der neuen Senatsvorlage?«
    »Davon haben wir noch nichts gehört«, rief Jenny.
    »Gehen Sie bitte einfach weiter bis zum Auto, Ma’am«, bat einer der Polizisten.
    Lucy hatte das Auto schon fast erreicht, da löste sich eine Frau aus der Menge und drängte sich zwischen den Polizisten durch, beugte sich vor und spuckte Lucy ins Gesicht. Als die Polizisten sie zu Boden warfen, schrie sie Jenny an: »Pfui! Schande über euch!« Sie versuchte nach dem Kruzifix zu greifen, das sie um den Hals trug, doch die Polizisten hatten ihr bereits Handschellen angelegt und zogen sie weg. Lucy starrte ihr mit verlorenem Gesichtsausdruck hinterher.
    »Komm schon!«, rief Amanda, und ein Polizist schob Lucy ins Auto. Harry zog ein weißes Taschentuch aus der Hosentasche und reichte es Lucy, die sich den Speichel von der Wange wischte.
    Dann gab Harry Gas, und sie brausten davon. Schweigen breitete sich im Auto aus. »Von welcher Senatsvorlage war denn da eben die Rede?«, fragte Jenny schließlich.
    Harry seufzte. »Steven Rhodes, der Republikaner aus Utah, hat heute Morgen eine Vorlage eingebracht, laut der nur derjenige als Mensch gelten kann, der mit einem Genprofil ausgestattet ist, das dem vom Humangenomprojekt im Jahr 2003 entschlüsselten menschlichen Genom entspricht. Senatsvorlage 5251.   Sie nennen es Lex Lucy, denn wenn diese Vorlage Gesetz wird, gilt sie offiziell nicht länger als Mensch, und das heißt, dass auch die Menschenrechte nicht mehr für sie gelten.«
    »Herrgott noch mal«, sagte Jenny.
    |245| Amanda und Lucy sahen einander an. Lucy spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Warum hassen sie mich, dachte sie. Sie wusste es. Sie wusste es. Die Finsternis des Dschungels bleibt immer wie Sand und Steine unter unseren Füßen spürbar. Und die von Raubtieren drohende Gefahr begleitet uns selbst an diese hellen Orte, die der Mensch geschaffen hat. Lucy sah Jenny an, dann Amanda, und beide erwiderten ihren Blick. Sie sah es auch in ihren Augen. Das verlorene Wissen um das, was gewesen ist. Die drei sahen einander an, und sie spürten, wie Liebe und gegenseitiges Verständnis zwischen ihnen hin und her strömte. Harry spürte es auch. Als er an einer roten Ampel anhielt, drehte er sich um. Und jetzt waren es vier Augenpaare, die ihre stummen Botschaften austauschten. Lucy begriff. Sie alle begriffen: Sie waren zu einer Sippe geworden.

|246| 24
    »Liebe Lucy«, begann der Brief. »Mein Name ist Jeremy Levin. Ich bin 35   Jahre alt, Rechtsanwalt in Philadelphia, großzügig, liebevoll, intelligent und habe viel Sinn für Humor. Ich mag Spaziergänge am Strand, ethnische Küche, edle Weine und die Oper. Ich interessiere mich vor allem für die Umwelt, den Weltfrieden und den Klimawandel, gehe aber auch gern zum Snowboarden und habe eine Eigentumswohnung in Snowmass. Wenn Du achtzehn bist, wirst Du meinen Heiratsantrag hoffentlich ernsthaft in Erwägung ziehen, denn ich glaube, dass ich Dir das beste aller möglichen Leben auf dieser Welt bieten kann. Es wäre mir eine Ehre, dabei behilflich zu sein, den neuen Typus Mensch mitzuerschaffen, von dem Dein Vater geträumt hat. Ich lege ein Foto von mir bei, damit Du sehen kannst, dass ich recht ansehnlich bin und mich auch körperlich in Form halte.« Unterschrieben war der Brief mit »Mit besten Grüßen, Dein Jeremy«.
    Lucy seufzte und legte ihn oben auf den Stapel mit den anderen. Jenny saß ihr gegenüber, und Amanda öffnete am Esszimmertisch eine andere Sorte Post. Sie saß vor dem aufgeklappten Notebook und ging die Nachrichten und Kommentare auf Facebook und MySpace durch.
    »Igitt«, rief sie. »Nicht schon wieder.«
    Jenny stand auf und sah ihr über die Schulter.
    »Lies es nicht, Jenny«, sagte Amanda.
    »Sexy Lucy«, begann es. »Wie geht’s? Willst du mal richtig kommen? Habe 22   cm, kann immer.«
    |247| »Wirklich igitt«, sagte Jenny.
    Nach der Tour quer durch die USA war Jenny mit den Mädchen nach Hause gefahren und hoffte, dass wenigstens ein Anschein von Normalität in ihr Leben zurückkehren würde. Diese Briefe halfen allerdings nicht dabei.
    Lucy griff nach dem nächsten Brief. Jenny betrachtete sie, während sie ihn las. Sie sah, wie Lucys Miene sich veränderte, und wusste, dass es einer der schlimmen war.
    Auch

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