Luderplatz: Roman (German Edition)
ihr, was sie suchte. Und Meike konnte sich tatsächlich an den Fototermin bei Dussmann erinnern.
»Es war tierisch voll. Die ganzen Teenager drängelten. Und ich war super genervt, weil die alle so groß waren, dass ich kaum ein Foto machen konnte.«
»Hast du mehrere Bilder gemacht? Auf dem, das im Express gedruckt wurde, sieht man nur Gordon Bales in Großaufnahme.«
Meike überlegte. Dieser Termin war keiner der ganz wichtigen gewesen, doch Promis speicherte sie meistens in ihrem eigenen Archiv. Sie zog ihren Laptop hervor und startete das Programm. Sie gab das Datum ein, wartete und seufzte. »Ne, sorry. Muss ich schon gelöscht haben. Gordon Bales spielt ja auch schon länger nicht mehr, oder?«
Viktoria wollte noch nicht aufgeben.
Doch Meike schaute auf die Uhr. Sie hatte zu tun, musste noch ihr Angebot für die Konferenz fertig machen. »Sorry, Viktoria. Aber jetzt geht echt nichts mehr …«
Viktoria nickte. Auch sie musste an ihren Schreibtisch und die Polizeimeldungen aus der vergangenen Nacht und vom frühen Morgen auf zeitungstaugliche Geschichten checken.
Zum Glück hatte Charly heute Frühdienst. Er war verantwortlich dafür, dem Chef der Lokalredaktion die richtigen Themen mit den richtigen Worten vorzuschlagen. Viktoria druckte ein paar Meldungen aus, die ihr einer ihrer Polizeiinformanten gemailt hatte, und schob sie auf Charlys Schreibtisch. Dann schaute sie in ihr privates Mailfach. Sie hatte ein schlechtes Gewissen. Auf Kais SMS hatte sie immer noch keine Antwort gefunden. Warum nahm sie nicht einfach den Hörer in die Hand und rief ihn an? Sie öffnete den E-Mail-Account und erkannte den Absender sofort. Es war wieder die Adresse, die der Mailadresse von Kai so ähnlich war. Mit ungutem Gefühl öffnete sie die Post. Hoffentlich schickte ihr nicht wieder irgend so ein Irrer Fotos einer misshandelten Frau.
Sie las den Text: Ich habe das hier gefunden, und Sie sollten es lesen! Passen Sie auf sich auf!
Kurz überlegte sie, ob sie die Mail sofort löschen sollte, doch dann öffnete sie zögernd den Anhang. Dort fanden sich E-Mails, die Kai Westmark – die Adresse war wirklich seine – an Honey101 geschickt hatte. Was für eine beschissene Mailadresse, dachte sie, als sie die Mails widerwillig und mit schlechtem Gewissen las.
Das einzige Gefühl, das ich für Dich empfinde, ist Hass. Und ich glaube, insgeheim willst Du gehasst werden. Du willst, dass ich Dich wie Dreck behandele – also tue ich es.
Sie las den Text noch einmal. Und noch einmal. Als könnte sie damit den Inhalt, die Worte ändern. Doch es wurde mit jedem Mal schlimmer. Hatte Kai das wirklich geschrieben? Es klang nicht nach ihm. Es konnte nicht sein. Sie las weiter. Sie las die nächste Mail. Sie las sie wieder und wieder.
Denkst Du, ich empfinde Mitleid, wenn ich Dich bluten sehe, wenn ich Deine Wunden sehe – vergiss es! Stirb meinetwegen.
Viktoria schaute sich um. Sie fürchtete, jemand könnte lesen, was sie gerade las. Kai, Kai, was hast du da geschrieben? Dann öffnete sie die letzte Mail, sie war kurz und sachlich, aber sie war auch die bedrohlichste von allen.
Geh ruhig zur Polizei, Du weißt, was dann passiert.
Viktoria lehnte sich in ihren Stuhl zurück. Ihre Hände zitterten, als sie einen Schluck Cola nahm. Wenn diese Worte wirklich von Kai geschrieben worden waren, dann war er, dann … Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was und wer er dann war. Ein Mensch, erfüllt von Hass. Einer, der jemandes Tod wünschte. Sie las die letzte Mail noch einmal, las auch die ersten Mails erneut. Ja, es war eindeutig. Er hatte Honey101 gedroht. Er schrieb von Wunden und von Blut. Viktoria musste an die Bilder denken, die ihr auch geschickt worden waren, die sie verdrängt hatte, von denen sie dachte, sie seien von irgendeinem Idioten gemailt worden. Die Würgemale, die Blutergüsse – die geschundene Frau. War diese Frau Honey101 ? Was hatte Kai Westmark dieser Frau angetan? Sie dachte an seine Hände, seine wunderbaren Hände, die so wunderbare Dinge mit ihr getan hatten. Hatten diese Hände auch furchtbare Dinge getan?
11. Kapitel
Insulin! Frank Metzger wollte es sich selbst nicht eingestehen, aber der Anruf der Berliner Reporterin hatte ihn nicht mehr losgelassen. Sie hatte ein Samenkorn gelegt, und jetzt wuchsen Kraut und Rüben in seinem Kopf. Insulin war schwer nachzuweisen. Ein kleines Einstichloch war leicht zu übersehen. Vielleicht hatte Viktoria Latell den richtigen Riecher, einen besseren als er.
Weitere Kostenlose Bücher