Luderplatz: Roman (German Edition)
leise, kurze Fiepen ihres Handys weckte sie auf. Viktoria lag auf ihrem Sofa. Ihr Nacken tat weh, sie hatte unbequem neben dem Netbook und ihren Notizen gelegen, im Fernsehen lief gerade eine Dokumentation über Vulkane. Langsam richtete sie sich auf und griff nach dem Telefon.
»Na?« Kai Westmark, der Meister der kürzesten aller Kurzmitteilungen, hatte sich also doch noch gemeldet. Unter anderen Umständen hätte sie sofort auf die beiden Buchstaben mit dem Fragezeichen geantwortet, doch ihr Kopf war einfach zu voll mit Dingen, für die zwei Buchstaben niemals ausgereicht hätten.
Sie hatte den richtigen Riecher gehabt. Marios Rückruf gestern Abend bestätigte es. Am 15. Januar vor fünf Jahren war der US-Basketballstar Gordon Bales in Berlin gewesen. Er war auf Promo-Tour für sein autobiografisches Buch So High , das es sogar für kurze Zeit in die Bestsellerlisten geschafft hatte. Am Anfang seiner großen Karriere hatte er auch ein paar Jahre bei Alba Berlin gespielt und deshalb am Abend des 15. Januar in der Stadt eine Autogrammstunde gegeben.
»Wo?«, hatte Viktoria gefragt. Die Antwort von Mario ließ ihr Herz schneller klopfen.
»Bei Dussmann in der Friedrichstraße.«
Das konnte kein Zufall sein. Florian war an dem Tag verschwunden, an dem Gordon Bales in der Stadt war. Florian war Basketballfan. Auf der Sammelkarte in der Schatzkiste war Gordon Bales mit Victory-Gruß abgebildet, die Uhrzeit des Busses, der direkt bis zum Kaufhaus Dussmann fuhr, stand auf dem Post-it, das Catchi gefunden hatte. Vielleicht wollte Florian an diesem Tag nach dem Training gar nicht nach Hause. Vielleicht war er einfach in den Bus gestiegen, um ein Autogramm seines Idols zu ergattern. Vielleicht hatte man einfach immer nur an der falschen Stelle gesucht …
»Victory, noch was. Ich weiß jetzt, was Nana gefehlt hat.«
»Wie gefehlt hat, was meinst du?« Viktoria wollte nicht über die tote Nana nachdenken, Florian – um den ging es jetzt.
»Die Narbe auf ihrer Brust.«
»Was ist damit?« Viktoria interessierte es nicht.
»Sie hatte dort ein Tattoo. Ein ziemlich großes.«
»Aha.« Viktoria war genervt, Mario sollte sie jetzt endlich mit seinem Betthasen in Ruhe lassen.
»Ich hab’s abfotografiert. Das Bild, auf dem man sieht, dass sie dort ein Tattoo hatte.«
»Schön. Gut. Morgen?« Sie konnte sich jetzt wirklich nicht mit irgendwelchen Tätowierungen beschäftigen. Florian hatte vielleicht einen anderen Weg genommen, als alle Ermittler fünf Jahre lang geglaubt hatten. Das war wichtig. Zum Glück ließ Mario endlich locker.
»Morgen – okay. Wir sehen uns in der Redaktion.«
Und dann war sie – wieder mit einem Bus – nach Hause gefahren. Sie hatte keine Lust mehr gehabt, ihren Lada von der Turnhalle abzuholen. Sie wollte nach Hause, auf ihr Sofa – und ins Netz. Nachschauen, was sie über Gordon Bales fand. Nachschauen, ob es Fotos von der Veranstaltung gab. Und dann war sie eingeschlafen.
Sie nahm ihr Handy. Was sollte sie Kai antworten? Ihr fiel nichts ein. Sie wollte ihm keine SMS schicken. Sie wollte ihn anfassen und riechen und küssen. Sie gähnte und stellte den Fernseher aus. Sie schaute noch einmal in ihren Laptop. Sie hatte ein paar Artikel über die Autogrammstunde von Gordon Bales gefunden, auch der Express hatte darüber berichtet. Es gab sogar ein Foto, doch es zeigte nur den Star in Großaufnahme, die anderen Zeitungen hatten das Ereignis nur vermeldet und – wenn überhaupt – kleine Porträtfotos dazu gestellt. Meike Niemüller hatte das Bild von der Autogrammstunde für den Express gemacht. Morgen würde sie mit ihr reden, dachte sie. Morgen. Sie sah, dass sie eine E-Mail bekommen hatte. Doch sie war zu müde, um sie zu öffnen. Morgen. Auf dem Weg in ihr Schlafzimmer zog sie sich aus, ließ die Sachen achtlos auf den Boden gleiten und fiel in ihr Bett. Es kam ihr auf einmal so groß vor. Viel zu groß für sie allein. Sie würde Kai antworten. Morgen.
»Dich brauche ich!« Viktoria hatte Glück. Meike Niemüller hatte den Frühdienst am Fotografentisch. Sie war gerade dabei, die Angebote diverser Fotoagenturen durchzugehen, um etwas für die Konferenz zusammenzustellen. Auf dem Bildschirm rekelten sich nackte Paare in diversen Stellungen – für die tägliche Sexseite des Express .
»Was machst du denn schon hier?« Sie lachte und drehte sich auf ihrem Stuhl um.
Viktoria mochte das leicht kehlige Raucherlachen der Fotografin. Und sie mochte die Fotografin. Viktoria erklärte
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