Luderplatz: Roman (German Edition)
Job an der Uniklinik gehabt.
»Total easy und echt auch spannend.« Nana und sie waren Simulationspatientinnen. Sie mussten den Medizinstudenten Symptome vorspielen, und diese mussten die richtige Behandlung vorschlagen.
»Jobs gibt’s, die gibt ’ s gar nicht«, sagte Mario, den es herzlich wenig interessierte, womit sich Rastagirl ihr Geld verdient hatte. Er wollte wissen, ob Nanas Freundin irgendetwas über Nana wusste, etwas, das erklärte, warum sie so interessiert an Viktorias Artikeln war.
Doch schon, als er das Mädchen mit den Pluderhosen in der Tür hatte stehen sehen, wusste er, dass es idiotisch war, herzukommen. Warum wühlte er noch in einer Sache, in der es nichts mehr zu wühlen gab? Der Rechtsmediziner hatte doch auch gesagt, es sei alles in Ordnung. Aber diese Sammelleidenschaft für alles, was mit Viktoria zu tun hatte, war dann doch seltsam.
Die Freundin wusste nichts. Sie hätte Nana zwar in den nächsten Tagen treffen wollen, aber dazu sei es nicht gekommen. Dann schlurfte sie ins Nebenzimmer und kam mit einem Fotoalbum in der Hand zurück. Hier, das ist von unserem letzten Klassentreffen vor ein paar Jahren. Unsere Schule lädt immer zum Altschülerinnentreffen, und da ihre Mum gerade ihren sechzigsten Geburtstag gefeiert hatte, sei sie auch da gewesen.
Sie tippte mit einem Finger auf ein blondes Mädchen in der ersten Reihe des Gruppenbildes. »Das da ist Nana.« Ohne Zweifel. Das war Nana. Die blonden Haare trug sie offen, sie lächelte verhalten. Die oberen Knöpfe ihrer weißen Bluse waren offen.
Sexy, dachte Mario und schaute genauer hin. »Darf ich?«, fragte er und zückte die Kamera, um das Bild abzufotografieren. Das musste er unbedingt Viktoria zeigen.
Die Liste wurde mit jeder Station länger. Viktoria schaute sich um und schrieb die Haltestellen auf und das, was sie dort sah, was ihr auffiel, was besonders schien.
Apotheke, Lidl, Sparkasse, Kinderspielplatz. Döner, Falafel, Klamottengeschäft.
Ärztehaus, italienisches Restaurant, Schneiderei.
Es war aussichtslos. Wie sollte sie herausfinden, wohin Florian damals wollte? Und wie konnte sie sicher sein, dass er tatsächlich mit dieser Linie gefahren war? Die Antwort war klar: Gar nicht.
Ein Hinweis in einer kleinen Kiste in Westbevern. Wie wahrscheinlich war es, dass es wirklich ein echter Hinweis war? Vielleicht wollte sie jemand einfach mal gründlich an der Nase herumführen. Sie locken mit dem Köder Florian. Doch wer hatte Interesse daran, dass sie sich den Kopf über einen verschwundenen Jungen zerbrach?
Sie schrieb weiter. Trotzdem und trotzig. Sie würde das jetzt durchziehen: Zeitungsbude, Currywurstbude, Massagesalon, Klub … Ihr Block war schon fast voll, als ihr Handy klingelte.
»Hallo, Kleine. Ich sitze gerade mit einem Wein im Café Adler. Auch Lust?«
Viktoria schaute auf die Uhr. »Passt perfekt. Ich steige gleich sowieso aus. Viertelstunde, okay?«
»Wieso aussteigen? Du fährst öffentlich ?« Viktoria hörte, wie ihre Mutter lachte. Sie fuhren gerade an Dussmann, dem Bücherkaufhaus, vorbei, das irgendwie immer geöffnet hatte und voll war. Viktoria stand auf. Unter den Linden würde sie aussteigen. Den Rest der Strecke entlang der Friedrichstraße wollte sie zu Fuß gehen. Frische Luft schnappen, nachdenken. Und diese sinnlose Busfahrt vergessen.
Als sie sie sah, war sie wieder einmal überrascht, wie schön sie war. Viktorias Mutter saß an einem einfachen Holztisch in der Ecke und rauchte. Ihre schlanken Finger hielten die Zigarette und gleichzeitig ein großbauchiges Rotweinglas. Ihre Haare trug sie jetzt kürzer. Der Bob stand ihr gut und ließ sie noch jünger und ein bisschen französisch aussehen. Die Lippen, tja, die waren ohnehin eine Sache für sich. Sie verliehen Marie Latell diesen Hauch von Lolita – und das, obwohl sie schon die fünfundfünfzig überschritten hatte. Sie schaute auf, entdeckte ihre Tochter und winkte sie zu sich. Die beiden Frauen umarmten sich. Ein bisschen unbeholfen. Vor wenigen Monaten noch hätte Viktoria diesen Widerwillen gespürt, der sie immer überkam, wenn ihre Mutter ihr zu nahekam. Sie war es einfach nicht gewohnt. Ihre Mutter war keine Mama zum Umarmen gewesen. Trotzdem hatten sie es getan, sich umarmt, sich Küsschen auf die Wangen gegeben, die nicht guttaten. Marie Latell war in all den Jahren, in denen sie ihre Tochter alleine großgezogen hatte, nie wirklich anwesend gewesen. Nicht physisch, nein. Sie lebte einfach in ihrer Welt und das
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