Luderplatz: Roman (German Edition)
private E-Mail-Adresse hätte. Sie wartete. Zehn Minuten später schickte Mario eine SMS . Nanas E-Mail-Adresse lautete: Honey101 , auch die Domain war identisch. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Ihre Hände zitterten. Es fühlte sich falsch an. Schlecht. Es war Verrat. Aber es war richtig.
»Viktoria Latell hier. Können Sie mich mit der Kriminalpolizei Münster verbinden? Ich möchte bitte jemanden sprechen, der mit dem Fall Nana Oppenkamp betraut ist.« Sie wartete.
»Latell. Viktoria Latell. Ich habe eine wichtige Aussage zu machen.«
13. Kapitel
Lukas Adams hielt seine Brille unter den warmen Wasserstrahl und rieb die Gläser mit Spülmittel sauber, dann trocknete er sie mit Küchenpapier. Er sah jetzt deutlich klarer. Nicht nur wegen der sauberen Gläser. Nana war tot. Ein für alle Mal. Und ganz egal, was er auch tun würde, sie würde nicht zu ihm zurückkommen. Nie. Das hatte er endlich begriffen.
Er nahm das Brettchen mit dem Nutellabrot und setzte sich damit vor seinen Rechner. Da war sein Platz. Hier aß er. Hier dachte er nach. Hier lernte er, und manchmal schlief er hier auch ein, den Kopf auf die Tischplatte gelegt, das Rauschen der Festplattenlüftung summte sein Nachtlied. Er biss vom Brot ab und begann mit dem Hintergrundbild. Man sah nur eine Haarsträhne von ihr. Nur er wusste, dass es Nanas Haare waren, die vor dem Objektiv getanzt hatten, als sie Enten auf dem Aasee fotografiert hatte. Er löschte das Bild. Die Erinnerung an die Tretbootfahrt, die zutraulichen Enten, Nanas windzerzauste Haare, die Erinnerungen an diesen perfekten Sommertag, die hatte er in seinem Kopf – dafür brauchte er den Computer nicht. Er machte weiter. Nebenan hörte er die Stimmen der Polizeibeamten. Sie waren in Nanas Zimmer. Sie wühlten in ihren Schubladen, in ihrem Schrank, in ihrer Wäsche. Er wollte gar nicht daran denken, wie wütend sie wäre, würde sie es sehen. Sie konnte sehr wütend werden.
Er löschte all ihre Mails. Es stand ohnehin nicht viel darin, was er aufbewahren wollte. Kaum ein persönliches Wort, keine Formulierung, die sein Herz gewärmt hätte. Ihre Post war nicht gut gegen Nordwind. Sie ließ ihn frösteln.
Dann kam der letzte Akt. Er wollte es erledigt haben, bevor die Polizisten zu ihm kämen. Denn das wollten sie, ihn befragen, ihn ausfragen. Er deinstallierte das Programm, mit dessen Hilfe sie ihre Mails verschickt hatte. Die letzte Nachricht war erst einen Tag zuvor versandt worden, fiel ihm auf. Er grinste. Wer auch immer diese Post von einer Toten gelesen hat, würde sicherlich einen Schreck bekommen haben. Er widerstand dem Drang, ihre Mails zu lesen. Er musste es ihr versprechen. Erst als er es geschworen hatte, hatte sie ihren BH geöffnet.
Dabei war es am Anfang anders gewesen. Leichter. Unbeschwerter. Sie hatte ihn geneckt, ihn Streber oder Nerd genannt und ihn mitgenommen in das Leben da draußen. Er war es gewesen, der auf Distanz blieb, am Anfang. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie ihn meinte. Doch sie überzeugte ihn. Sie küsste ihn. Sie liebte ihn. Und er verfiel ihr. Mit Haut und Haaren, und, was am schlimmsten war, sogar sein Hirn hatte sie erobert.
Dann wurde sie kühler. Und er begriff es nicht. Sie wurde trauriger. Und sie tat ihm leid. Alles, was sie von ihm wollte, alles wollte er für sie tun. Er installierte ihr das E-Mail-Programm, er erklärte ihr, wie man Absender auf dem Handy unterdrückt, er kaufte für sie ein, er erledigte Botendienste.
»Ich habe doch kein Auto, Lukas. Kannst du mal?«
Er tat es. Er machte sich zum Deppen.
»Bitte erzähl doch nicht überall herum, dass wir zusammen sind.«
Er schwieg. Immerhin hatte sie von Zusammensein gesprochen. Das war doch schon etwas. Dachte er.
Inzwischen wusste er es besser. Er nahm den Karton und klemmte ihn sich unter den Arm. »Bin gleich wieder da«, rief er den Beamten in Nanas Zimmer zu. Dann ging er durch den Hausflur nach draußen. Er stieß die schwere Tür zum Hinterhof auf und roch die Ausdünstungen des großen Müllcontainers. Er hielt die Luft an und schob den Deckel nach oben. Die Kiste fiel weich auf Kartoffelschalen, schimmeliges Brot und Kaffeesatz. Der alte Herr aus dem zweiten Stock würde nie begreifen, dass diese Dinge in die Biomülltonne gehören.
Lukas grinste. Na ja, Diabetesmedikamente gehörten sicherlich auch nicht in den Restmüllcontainer.
Dieser verdammte Geruch. Nach Schweiß und Aftershave – und nach Verrat. Kai Westmark riss das Fenster auf. Er atmete
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