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Luderplatz: Roman (German Edition)

Luderplatz: Roman (German Edition)

Titel: Luderplatz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Jäger
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Tausenderpuzzle, das aus ganz viel gleichfarbigem Himmel bestand. Es war schwer und zäh, die vielen blauen Teilchen einander zuzuordnen. Doch irgendetwas passte. Irgendetwas. Sie musste mit dem Rahmen anfangen, mit den Eckteilchen. Eins nach dem anderen. Sie nahm sich ein Blatt aus dem Papierkorb und schrieb auf die Rückseite:
    + Der Startpunkt: Nana und Mario. Der blutige One-Night-Stand. Warum das Blut, warum ist sie verschwunden? Zufall? Verschweigt Mario etwas?
    + Nana und Kai. Einst eine große Liebe? Ein gemeinsames Liebestattoo? Warum ist ihres herausgeschnitten worden? Wer hat das getan? Warum hat er seines noch?
    + Florian. Sind die Hinweise echt? Hat Nana etwas damit zu tun? Sie wusste, dass Viktoria der Fall Florian sehr beschäftigte.
    + Florian. Ist er wirklich mit dem Bus gefahren? War er bei der Autogrammstunde von Gordon Bales?
    Als sie alles aufgeschrieben hatte, überflog sie die Notizen noch einmal. Sie knüllte das Papier zusammen und warf es in den Mülleimer.
    »Ich bin total bescheuert«, sagte sie laut. Und keiner ihrer Kollegen in Hörweite widersprach.
    »Schau mal, Charly!« Viktoria reichte ihrem Kollegen aus der Polizeiredaktion den Ausdruck, den Meike ihr gegeben hatte.
    »Der da, den man von hinten sieht, könnte das Florian sein?«
    »Du meinst den Florian?«
    Sie nickte.
    Charly kannte die Geschichte des vermissten Jungen natürlich. Er hatte in seiner Polizeireporterzeit schon häufiger über verschwundene Kinder berichten müssen, er hasste diese Geschichten. Er war froh, dass er in diesem Fall nicht so nah an den Betroffenen war wie Victory. Und er war auch nicht sicher, ob es in diesem Fall überhaupt einen Fall gab. Florian passte nämlich nicht in das typische Schema. Er war – so makaber das klang – mit seinen dreizehn Jahren schon beinahe zu alt für einen mordenden Kinderschänder oder einen pädophilen Entführer. Denn das fürchteten doch alle irgendwie, auch wenn es keinen konkreten Hinweis gab.
    Für Charly Berendsen war Florian ein Ausreißer, der keinen Bock mehr auf seine Eltern hatte.
    Vielleicht wollte er das aber auch nur glauben. Fakt war, dass ihm die Geschichte nicht so zu schaffen machte wie ihr. Charly las die Bildunterschrift.
    »Du meinst, er war am Tag seines Verschwindens bei der Autogrammstunde von Gordon Bales?« Viktoria zuckte mit den Schultern.
    »Wie kommste denn da drauf?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nun sag schon, Charly – ist der Junge da vorn, ist das Florian mit seinem Lederrucksack?«
    Charly zog die Mundwinkel nach unten. »Man erkennt ja kaum was.«
    Viktoria wurde langsam ungeduldig. »Das weiß ich auch, du Klugscheißer. Könnte er es denn sein?«
    »Können kann vieles. Klar, er ist schlank, er trägt einen Rucksack, aber, nee, Victory – ich kann es dir nicht sagen.« Er gab seiner Kollegin das Bild zurück. »Wer hat dir denn erzählt, dass er da gewesen sein soll? Vielleicht wollte dich ja nur einer verarschen.«
    Viktoria legte das Foto in einen ihrer überquellenden Gitterkörbe. Sie spürte, wie zwei blaue Puzzleteilchen in ihrem Kopf ganz nah zusammenrückten. Sie mussten nur noch aneinandergesetzt werden, dann wäre eine Ecke fertig.
    Verarschen? Wollte sie jemand verarschen? Nana Oppenkamp hatte all ihre Artikel gelesen. Auch die, die Viktoria über Florians Familie geschrieben hatte. Die gefühlvollen Zeilen, die emotionalen Schlagzeilen. Wenn sie nicht dumm war, hat sie gemerkt, wie wichtig Viktoria die Geschichte mit Florian war. Hat sie kurz vor ihrem Tod die Sammelkarte und das BVG -Ticket in das Schatzkästchen gelegt, um sie nach Berlin zu locken? Hat sie eine falsche Fährte gelegt? Und ist Viktoria ihr, hungrig nach einer fetten Beute, nach der Lösung des Falls, nach einer Sensation, gefolgt? Weg aus Westbevern, weg von Kai?
    Isa Joss war überrascht von der Bandbreite der Gefühle, die vor wenigen Stunden von ihr Besitz ergriffen hatten und noch immer andauerten. Das stärkste war die Erleichterung.
    Ihr Junge war gesund. Kerngesund. Dreitausendneunhundert Gramm schwer, einundfünfzig Zentimeter groß. Die Hand hatte einfach nur versteckt hinter seinem Körper gelegen, das war’s.
    Dann war da der Stolz, der sie durchflutete, wenn sie ihn anschaute. Wenn sie ihren Mann anschaute, der ihn im Arm hielt. Ihr Sohn war wunderschön. Und da war noch diese große Wut. Über die Schmerzen, die sie überrollt hatten, über die Hebamme, die ihr geraten hatte, das Kind ohne jedes Betäubungsmittel zu bekommen, die ihr

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