Luderplatz: Roman (German Edition)
danach fünf Wochen lang im Topf vor sich hingammeln.« So hatte Charly Berendsen es ihr zu erklären versucht. Sie war nicht besonders scharf darauf, seine Behauptung zu überprüfen, und atmete weiter durch den Mund.
Marios Fotoapparat klickte ununterbrochen, obwohl die Bilder, auf denen die Leiche zu sehen war, sowieso nicht gedruckt werden durften. So weit ging die Pressefreiheit dann doch nicht.
Viktoria zwang sich, nicht wegzuschauen. Die Taucher hievten jetzt gemeinsam mit den Kollegen an Land das schreckliche Leichenpaket aufs Ufer.
»Eine Wasserleiche im Sommer ist eine explosive Sache.« Charlys Worte klangen noch in ihrem Ohr. »Wenn man sie anfasst, kann sie aufplatzen.«
Ihr Blick schweifte ganz automatisch ab, suchte nach etwas, das ihrem Magen weniger zu schaffen machte, blieb kurz an dem Kripobeamten hängen, der ans Ufer trat und den sie von anderen Fällen kannte, und landete schließlich bei einem dritten Taucher, der gerade aus der Spree kletterte und dabei eine etwas unglückliche Figur machte. Kermit der Frosch ist eleganter, dachte Viktoria und wollte über den tollpatschigen Mann im schwarz-roten Neoprenanzug lachen. Das Lachen blieb ihr jedoch im Halse stecken. In seiner Hand hielt Kermit einen nassen Rucksack. Einen schwarzen Rucksack. Florians Rucksack.
Viktoria war froh, dass Meike Niemüller fuhr. Sie hätte sich nur schwer auf die Straße konzentrieren und während der Fahrt auch nicht in ihren Unterlagen lesen können. Wobei das eigentlich egal war. Sie wusste ja alles. Alles über den Fall Florian. Alles, was man als gute Polizeireporterin wissen musste – und noch mehr. Und jetzt wusste sie also auch, dass er tot war. Ertrunken in der Spree. Gefunden mehr als fünf Jahre später. Der Kultur sei Dank. Denn dass Taucher die aufgequollenen Überreste des Jungen fanden, lag daran, dass ein Kunstwerk ins Wanken geraten war. Die sogenannten Loving Girls , die als Gegenpart zu den berühmten Friedrichshainer Fighting Men am Reichstagsufer installiert worden waren und die eher aussahen wie zwei Strichmännchen, wackelten und drohten in der Spree zu versinken. Die Taucher sollten die Installation neu verankern.
Dabei fanden sie Florian, dessen Rucksack sich im Drahtgestell unter Wasser verfangen hatte und der deshalb nicht weiter ab-und aufgetrieben worden war. Die Polizisten hatten keinen Zweifel, dass es sich um seinen Rucksack handelte. Die gelbblaue Alba-Berlin-Brotdose fanden sie noch im Innern, Überreste seiner Trainingskleidung ebenfalls. Der Zahn-und Knochenabgleich würde den Rest ergeben. Der Leiche fehlten die Ohren und die Nase, sie waren von Ratten und Fischen abgefressen worden, auch der Rest war kaum noch vorhanden. Doch die Schädelknochen waren intakt, seine Kiefer ebenfalls, das meiste vom Skelett. Die Obduktion dieser Überreste ließ nicht auf stumpfe Gewalt schließen.
All das hatte Frank Metzger als neuer Chef der Berliner Rechtsmedizin Viktoria unter der Hand und vorab gesagt. Er hielt sich an sein Versprechen. Weil Viktoria dafür gesorgt hatte, dass Rudolfo Rose sich an seines hielt. Rita ging es anscheinend gut. Sie und ihr Mann hätten eine Art Abkommen geschlossen, verriet Metzger.
»Er lässt sie machen, sie lässt ihn machen, bei Einladungen lächeln sie zu zweit, ansonsten macht jeder sein Ding.« Es schien zu funktionieren. Sie hatten sogar eine neue Katze.
»Mist!« Meike Niemüller trat in die Bremsen ihres Ford Fiestas. Ein Mercedes hatte ihr den Parkplatz weggeschnappt. Sie wendete, setzte schnell zurück und hielt hinter einem Bulli in der Anwohnerparkzone. Noch eine Frau, die einparken konnte, dachte Viktoria. Meike drückte ihre Zigarette im übervollen Aschenbecher aus.
»Was ist los, Victory? So still? Scheiß Termin, oder?«
Viktoria nickte. Sie hatte einen Kloß im Hals. Zum Glück hatte der Fotochef Meike mitgeschickt. Nicht alle Fotografen waren so sensibel wie sie. Und die meisten quatschten, wenn einfach mal Ruhe angesagt war. Und hier, in diesem Fall, bei dieser Geschichte, hätte sie am liebsten auch einfach die Klappe gehalten. Es erschien ihr zynisch, die Eltern eines Jungen, der gerade tot geborgen worden war, zu fragen, wie es ihnen jetzt gehe. Es erschien ihr zynisch, überhaupt irgendetwas zu fragen. Sie knallte die Autotür zu und schaute am schönen Haus von Florians Eltern empor. Saniert, frisch gestrichen, hohe Räume, grüner Innenhof – eine gute Gegend, um aufzuwachsen.
Sie drückte auf den Klingelknopf.
»Ja?« Es
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