Lübeck
gefunden hatte. In zahllosen Predigten,
teilweise vor katholischen Soldaten, widersprachen sie den perversen Ideologien
des Nationalsozialismus. Prassek lernte Polnisch, um Zwangsarbeitern helfen zu
können und ihnen die Sakramente zu erteilen. Als seltenes Beispiel einer
authentischen Ökumene organisierten die vier Geistlichen Flugblätter, auf
denen sie sich kritisch gegen die Kriegsführung und die Vernichtung
„unwerten Lebens“ aussprachen. Häufig planten sie ihre Aktionen mit Laien
im katholischen Gesellenhaus (Parade 8, heute ein Ärztehaus). Nach einem
Schauprozess, der im Lübecker Burgkloster geführt wurde und so
menschenverachtend und durchschaubar war, dass ihn Goebbels nicht einmal für
die „Deutsche Wochenschau“ verwenden konnte, ermordete man die vier Männer
am 10. November 1943 in Hamburg mit dem Fallbeil. Den „Verrätern“ wurden
u. a. „Zersetzung der Wehrkraft“ und „Feindbegünstigung“ angelastet.
Die 18 Laien entließ man als Verführte nach dem Ende der Untersuchungshaft.
Nur der Geschäftsführer der katholischen Gemeinde, Adolf Ehrtmann, erhielt
fünf Jahre Zuchthaus. Man geht heute davon aus, dass die Freiheitskämpfer
stellvertretend für die widerständigen Bischöfe (z. B. Clemens August Graf
von Galen) sterben mussten, an die sich das Regime nicht heranwagte. Zum
Todestag finden Gedenkfeiern in der Herz-Jesu-Kirche und der Lutherkirche in
der Moislinger Allee 96 statt; dort liegt auch die Urne Stellbrinks. Eine
Seligsprechung der katholischen Geistlichen wird seit 1960 erwogen.
Eine weitere Kuriosität an der Parade ist die katholische Herz-Jesu-Kirche . Über 350 Jahre hatte es nach der
Reformation gedauert, bis die Katholiken wieder eine Kirche besitzen durften.
Der Hintergrund: Nur neun von hundert Lübeckern sind katholisch. Beim Bau
achtete man sehr genau darauf, dass das Stadtbild der „sieben goldenen
Türme“ nicht gestört wurde. Nur ein verkürzter Turmhelm durfte auf die
1891 fertiggestellte und eingeweihte Kirche gesetzt werden. Der neugotische
Andachtsort entstand aus einer ehemaligen Domherrenkurie und wurde zu Ehren von
vier ermordeten Freiheitskämpfern 1958 in den Rang einer Propsteikirche
erhoben. Wer sich darüber wundert, dass der Chor nicht wie üblich im Osten,
sondern im Westen liegt, dem sei gesagt: Die Erbauer mussten die Hanglage des
Grundstücks einberechnen. Im Inneren ist die Kirche schlicht, aber mit
stimmungsvollen Glasfenstern aus roten Ornamenten im Altarraum ausgestattet.
Ferner kann man eine Pieta aus dem 15. Jh. und eine Krypta sehen (Schlüssel
im benachbarten Kirchenladen erhältlich), die als Gedenkstätte für die
Lübecker Märtyrer dient. Der Besuch der Krypta geht nicht immer glimpflich
aus: Ein tragisches Ende nahm Christa Lewandowski, eine Kielerin, die nach
einer Besichtigung den Beruf als Bankangestellte aufgab und als Missionarin
nach Rhodesien (Simbabwe) ging – in den Wirren des Bürgerkriegs wurde sie am
6. Februar 1977 erschossen.
Parade 4,
Tel. 7098765, www.kath-kirche-luebeck.de . Tägl.
9–19 Uhr. Kostenlose Führungen in der Krypta ab 2 Pers. Bitte zwei Wochen
vorher anmelden! Jeden 10. Nov. wird ein neuzeitliches „Martyrologium“ für
die Widerständler verlesen. Der Kirchenladen bietet Devotionalien und
Bücher zu den vier geistlichen Widerstandskämpfern. In der Propsteikirche
entstanden ein Kammer- , Propstei- und Kinderchor , die bei
Gottesdiensten und Konzerten aufsingen ( www.kirchenmusik-luebeck.de ).
Nur 9 von 100 Lübeckern sind katholisch
Spaziergang 1: Holstentor, St. Petri und Dom
Zeughaus
Die Kopie einer Mars-Figur weist auf die ursprüngliche Funktion des ausladend langen Gebäudes an derParade Nr. 10 hin. Das Zeughaus , 1594 im Stil der niederländischen Backsteinrenaissance erbaut, diente v. a. als Waffenkammer der Bürgerwehr. Nach der Reformation war es als erster weltlicher Bau im Domviertel errichtet worden. Später nutzte die Gestapo die Räumlichkeiten für Verhöre. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was die Schergen mit den Verurteilten in den Kellern gemacht haben. Ein Mahnmal weist auf die Verbrechen hin. Als späte Rache gelangte in einen Nebenbau das Haus der Kulturen, eine interkulturelle Begegnungsstätte.
Das Museum für Völkerkunde, das im Zeughaus untergebracht war, ist seit September 2007 aus Kostengründen âbis auf Weiteresâ geschlossen. Leider, denn so verschwand neben etwa 30.000 Alltags- und
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