Lübeck
ein
Museum.
Museum
Geglückter Mix aus Tradition und Moderne
Was mittelalterliche Kunst betrifft, ist die Sammlung von (Schnitz-)Altären
und sakralen Skulpturen in Deutschland einzigartig. Im südlichen,
spätgotischen Kreuzgang, in dem man sich wie eine Figur aus „Der Name der
Rose“ fühlt, sticht die Niendorfer Madonna von 1420/25 aus dem Überangebot hervor. Die anmutige Figur, die aus einer
flandrischen Werkstatt stammt und möglicherweise in der Petrikirche gestanden
hatte, fand man 1926 in einer Scheune in Niendorf bei Travemünde. Der
zweckentfremdete Aufenthalt hat der sandsteinernen Gottesmutter nicht
geschadet; sie zieht die Betrachter noch heute dank ihrer zarten Gesichtszüge
an. Dieser sog. weiche Stil verbreitete sich in Böhmen, Frankreich und
Nordeuropa zwischen 1390 und 1430 und kann als Vorläufer der Renaissance
gesehen werden.
Im Refektorium (Speisesaal) sieht man die Skulpturengruppe der Klugen und
Törichten Jungfrauen, die einst in der Burgkirche ihren moralischen
Auftrag an die Gläubigen weitergaben. Die in Stein gehauenen Damen (Flandern,
1400) beziehen sich auf eines der beliebtesten Gleichnisse des Mittelalters,
das mit dem berühmten Satz endet: „Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder
den Tag noch die Stunde“ (Mt 25,1–13).
Der Höhepunkt der Sammlung befindet sich im Kalefaktorium (Wärmestube):der Memling-Altar von 1491. Dabei handelt es sich um einen fünfflügeligen
Klappaltar (Polyptychon), der äußerst plastisch die Leidensgeschichte Jesu
erzählt. Er befand sich bis zum Fliegerangriff von 1942 in der Privatkapelle
der Kaufmannsfamilie Greverade im Dom, für die der deutscheMaler Hans Memling den Altar
zwei Jahre vor seinem Tod in Brügge verfertigte. Er ist der mit Abstand
bedeutendste Altar in Lübeck und eines der schönsten Werke des Meisters
überhaupt. Im selben Raum sind auch niederländische Prachtaltäre und
Porträtmalereien aus der Zeit zwischen 1488 und 1520 ausgehängt, z. B. von
Jacob van Utrecht. Zwei Wochen im Jahr kann man die Außengemälde der Altäre
sehen. Nach einem jahrhundertealten Brauch werden die Flügel vierzehn Tage vor
Ostersamstag unter den sphärenhaften Klängen mittelalterlicher Instrumente in
einem rituellen Akt umgeklappt.
Bibliophile fasziniert eine Lübecker Bibel aus
der Frühdruckzeit (Inkunabelzeit). 1492 gedruckt, gehörte sie mit ihren 152
Holzschnitten zu den ersten Bilderbibeln des Ostseegebiets und war eine der
wenigen deutschsprachigen Übersetzungen des Alten und Neuen Testaments vor der
Reformation.
Im Innenhof findet man von Anfang April bis Mitte Oktober die
Originalskulpturen der Puppenbrücke (in den Wintermonaten sind sie von einer
undurchsichtigen Plastikhülle verdeckt) und in einem Seitengang Terrakotten
von Statius von Düren. Eine abgedunkelte Kammer zeigt mitdem Danziger
Paramentenschatz einige der kostbarsten liturgischen Gewänder des
Mittelalters.
Andere Räume (von denen einige in Umbau begriffen sind) beschäftigen sich,
teilweise in Wechselausstellungen, mit der Wohnkultur der Lübecker Bürger von
1600 bis 1800. Im Museum Behnhaus Drägerhaus (→ Spaziergang 3) wird dies
aber wesentlich spannender aufgefächert.
Kunsthalle
Die 2003 angegliederte moderne Kunsthalle stellt, baulich gesehen, einen
ungewöhnlich geglückten Mix aus Tradition und Moderne dar: Sie wurde auf die
Reste der 1843 heruntergebrannten Klosterkirche gesetzt und wirkt dank der
eingezogenen Glasfronten sehr lebendig. In diesen Räumen wird Kunst aus der
Zeit nach 1945 präsentiert. Die zwei schönsten Ausstellungsstücke sind schon
im Eingangsbereich zu sehen: das „Holstentor“ (1980) von Andy Warhol und
der „Wind“ (2008) von Günther Uecker.
Auf vier Stockwerken zeigen sich die Arbeiten einheimischer und
ausländischer Künstler. Hervorzuheben sind im Untergeschoss die Malereien
„Jäger I–IV“ (1994) von A. R. Penck, die Fotografie „Duisburg
Hochfeld“ (1985) von Thomas Struth und die Holzschnittfolge „Abgrund
(Pollinger Totentanz)“ von Bernd Zimmer (1991/92). Im ersten und zweiten
Stock finden sich Werke u. a. von Arvid Pettersen, Ralph Fleck und Bernhard
Heisig sowie das sehr gelungene „Wagon Detail V“ (1978) des in Lübeck
lebenden Künstlers Peter-Wilhelm Klasen. Und wer sich von dem Vorsatz „Ich
will Kunst verstehen“ verabschiedet, wird auch die berühmt-berüchtigten
„Ohne Titel“-Gemälde aushalten, von denen einige – zugegeben – auch
„Ohne Ausdruck“ heißen könnten …
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