Lübeck
lässt sich das feudale Leben der
gehobenen Bürgerschicht im 19. Jh. nachvollziehen und das Papiertheater des
kleinen Hanno, Thomas Manns Alter Ego, mit neuen Augen sehen. Die Beletage
wirkt nach heutigen Maßstäben übertrieben, aber nicht ganz so pompös, wie
es im Buch beschrieben wird. Das mag an den weißen Laken liegen, die den
Auszug der Familie symbolisieren sollen – und nur zur Weihnachtszeit
abgehängt werden. Zwei Touchscreens und zig Tafeln und Ziehkästen erlauben
eine Vertiefung in Details, von denen selbst Literaturstudenten noch nie
gehört haben. So schrieb z. B. Eduard Engel, ein aufgeblasener
Literaturprofessor und Sprachpfleger über die „Buddenbrooks“: „In den
zwei dicken Bänden mit ihren mehr als tausend Seiten werden uns die wertlosen
Geschicke wertloser Menschen in wertlosem Gerede vorgeführt. Thomas Mann kann
rundheraus nicht Deutsch, seine Muttersprache versagt ihm für die einfachsten
Ausdrücke“.
Weltliteratur made in Lübeck: Das Haus zum Jahrhundertroman
Der erste Stock ist literarischen Wechselausstellungen vorbehalten.
Im historischen Gewölbekeller hängen einige Schwarz-Weiß-Fotografien der
realen „Hauptfiguren“; außerdem findet sich das Modell des ausladend
gebauten Kaufmannshauses.
Der Museumsshop bietet ein enormes Angebot an Büchern zur Familie Mann;
nahezu alle Primärwerke sind vorhanden. Das vorletzte Wort hat
selbstverständlich Herr Mann: „Was ich selber sei, was ich wolle und nicht
wolle […]; wie ich mich zum Leben verhielte und zum Tode: ich erfuhr das
alles, indem ich schrieb.“ Auch wer sich nur peripher für Literatur
begeistern kann – das meistbesuchte Literaturmuseum Deutschlands, unlängst
von der EU prämiert, sollten Sie nicht verpassen!
Buddenbrooks:
Verfall einer (Lübecker Kaufmanns-)Familie
Den Durchbruch brachten die „Buddenbrooks“ (1901). Allerdings erst zwei
Jahre nach der Erstauflage, als das mehrbändige Werk von Fischer in einer
günstigen einbändigen Ausgabe auf den Markt kam. Bis 1930 verkauften sich
1.000.000 Exemplare, und es war explizit dieser Roman, der Thomas Mann im Jahre
1929 den Nobelpreis einbrachte. Insgeheim ärgerte sich Herr Mann, weil er
nicht für den „Zauberberg“, an dem er 12 Jahre gearbeitet hatte, prämiert
wurde … Heute ist das international gefeierte Werk, das der gerade einmal
25-jährige Schriftsteller „nach etwa zweieinhalbjähriger, oft
unterbrochener Arbeit“ (Thomas Mann) beendete, in über 30 Sprachen
übersetzt und über 6 Mio. Mal verkauft worden. Samuel Lublinski, ein
damaliger Reich-Ranicki, war der erste, der das herausragende Talent des jungen
Manns erkannte: „Und darum eben, weil sich in den Buddenbrooks ein erlebtes
und tief empfundenes Weltgefühl mit einer bewußten Kunst innig verbunden hat,
deshalb bleibt dieser Roman ein unzerstörbares Buch. Er wird wachsen mit der
Zeit und noch von vielen Generationen gelesen werden: eines jener Kunstwerke,
die wirklich über den Tag und das Zeitalter erhaben sind, die nicht im Sturm
mit sich fortreißen, aber mit sanfter Überredung allmählich und
unwiderstehlich überwältigen.“
Worum geht es eigentlich? In den „Buddenbrooks“ wird eine
Familiengeschichte des 19. Jh. über vier Generationen erzählt, der
Niedergang einer Kaufmannsfamilie. Inspiriert ist der Gesellschafts- und
Zeitroman von den Büchern der Brüder Goncourt – und einigen europäischen
Klassikern. Karikiert und kritisiert werden die Leistungsethik des
erstarkenden, sich abgrenzenden Groß- und die opportunistischen,
antikulturellen Zwänge des Kleinbürgertums. Anders gesagt: Thomas Mann fängt
das soziale Gefüge Lübecks und das Fluidum der einstigen Großhandelsstadt in
all seinen – auch verabscheuungswürdigen – Verästelungen mit enormer
Sprachakrobatik ein. Und das, obgleich nirgends der Name der Stadt genannt
wird. Trotz seines literarischen Kosmopolitismus hatte der große Autor auch
große Zweifel. An Bruder Heinrich schrieb er am 8. Januar 1901: „Wenn nun
niemand das Buch haben will? Ich glaube, ich würde Bankbeamter.“
Buddenbrookhaus ,Mengstr. 4, Tel. 1224190, www.buddenbrookhaus.de .
Jan.–März tägl. 11–17 Uhr, April–Dez. tägl. 10–18 Uhr. Eintritt
5 €, erm. 2,50 €, Kinder (6–18 J.) 2 €, unter 6 J. frei. Jeden
Samstag gibt es um 14 Uhr eine Führung für 8 € pro Pers. Wer Glück hat,
wird von Herrn Bovensiepen herumgeführt. Der Mann ist nicht nur ein wandelndes
Thomas-Mann-Lexikon, er zitiert
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