Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)
ausbaldowert hatte, einziehen, Antiquitäten und Kunst gegen Devisen in den Westen verkaufen. Der Staat als Räuberbande.
»Ich mach historische Recherchen«, sagte er. »Für Menschen, Firmen, Verbände, Vereine und so weiter. Und wie wir wissen, haben die Historiker auch braunen Dreck am Stecken. Da könnte man vielleicht auch was machen.«
»Ach ja. Warum sollten sie die Einzigen sein, die dem größten Führer aller Zeiten nicht gefolgt wären?«
»Ach ja.« Er lächelte. »Wenn ich den Dienst quittiere, bin ich nicht mehr abhängig von Bohmings Launen.«
»Red dir das mal nur ein. Ich weiß gar nicht, ob man beim Sagenhaften von Launen sprechen kann. Der lässt einen doch weitgehend in Ruhe. Und wenn er Launen haben sollte, bisher haben sie dir genutzt.«
Er lehnte sich zurück, um dem Schmerz im Rücken auszuweichen. Trotzdem war es entwürdigend, vom Sagenhaften abhängig zu sein. Ob es ihm nutzte oder nicht. Aber er sagte es nicht. Sie war zu vernünftig, um das ernst zu nehmen.
»Dann bist du abhängig von den Launen deiner Auftraggeber. Die von Bohming kennst du, die deiner künftigen Auftraggeber nicht. Außerdem, warum sollen die sich gerade dich aussuchen? Es gibt so viele arbeitslose Kollegen, also Konkurrenten.«
»Ich sehe, du hast dir vorgenommen, mich aufzubauen.«
»Ich will verhindern, dass du einen Fehler machst. Du schmeißt etwas Handfestes weg für eine Hoffnung.«
»Sagt die Staatsbedienstete.«
»Zum Staatsbediensteten.«
Sie fuhren gemeinsam mit der Bahn nach Hamburg. Sie redeten nicht viel. Stachelmann dachte die meiste Zeit an seine Entscheidung. Er beachtete die Lübecker Polizisten nicht, die ihm zum Bahnhof folgten, und auch nicht deren Hamburger Kollegen, die ihn am Dammtor abholten. Er hatte keine Angst, jedenfalls spürte er nicht mehr als eine Art Unruhe. Im Philosophenturm ging er ins Sekretariat. Renate Breuer telefonierte, offenbar war es ein Privatgespräch. Sie legte die Hand auf die Muschel, sah, dass Stachelmann nicht hinausging, sagte »Ich melde mich wieder« und schaute ihn an, ein wenig verärgert.
»Ist der Chef da?«
In ihrem Blick las er: Das hättest du auch ohne mich herausfinden können, aber es war ihm gleichgültig. »Ja, er hat aber in einer halben Stunde einen Termin.«
Stachelmann verließ das Sekretariat, ging zu Bohmings Büro und klopfte. Er wartete das Herein nicht ab und öffnete die Tür. Bohming saß auf seinem Schreibtischstuhl aus Leder, mit hoher Rückenlehne, halb weggedreht, und las irgendetwas. Bohming deutete auf den Stuhl, der ihm gegenüber am Schreibtisch stand. »Einen Moment noch, ich muss das gerade fertig lesen. Ich habe gleich einen Ter min.«
Als könnte das wichtiger sein als das, was Stachelmann entschieden hatte. Er setzte sich verärgert auf den Stuhl und ließ seine Augen umherschweifen. Da standen die Bücher nebeneinander, als deren Autor Bohming genannt wurde, auch wenn seine Mitarbeiter das meiste beigetragen hatten. Das ist Vampirismus. Es ist eklig und verlogen. Jeder weiß es, aber es kümmert niemanden. Wenn man Ordinarius ist, dann darf man seine Mitarbeiter aussaugen, bis die nichts Wesentliches mehr veröffentlichen können, weil das doch schon Professor Bohming geschrieben hat. Du übertreibst. Doch, im Kern ist es so. Aber du selbst hast deine Arbeit geschrieben. Trotzdem, Bohming benutzt alle seine Assistenten, die »Männer«, Anne und ihn auch. Er erinnerte sich, wie Bohming vor einigen Jahren einfach verfügt hatte, Anne habe seinen Auftritt auf dem Historikerkongress vorzubereiten, obwohl sie mit Stachelmann ins Bundesarchiv nach Berlin fahren wollte. Immerhin, er hatte zugelassen, dass sie sich im letzten Augenblick abseilte. Aber es geht doch nicht darum, dass Bohming besonders übel wäre, sondern um die Abhängigkeit, die andere als Fürsorge verstehen würden. Ach, egal, der Würfel ist gefallen.
Wieder die Buchrücken. Die verraten viel über einen Menschen. Da entdeckte er auch seine beiden Bücher. Er stierte auf die Rücken und glaubte zu erkennen, dass die Bücher nie aufgeschlagen worden waren. Nur zwei Bücher hatte er geschrieben, dazu die Habilschrift für den Mülleimer und ein paar Aufsätze, die ohnehin niemand gelesen hatte.
Die Augen wanderten weiter. »Eine Festschrift für Gerhard Kalterer«, las er. Da ehrte man die Alten, um Punkte zu sammeln für die eigene Festschrift. Für Bohming gab es noch keine. Aber gewiss würden die Assistenten und Kollegen bald gebeten werden. Und
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