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Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Titel: Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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für mich?«
    Sie antwortete nicht.
    »Was ist etwas für mich?«, fragte er eindringlich.
    »Das, was du gerade wegwirfst. Das ist etwas für dich.«
    »Das wüsste ich aber.«
    »Du weißt es eben nicht.«
    Der Regen wurde stärker, und sie eilten zurück zum Philosophenturm. Aber sie fuhren nicht nach oben zum Historischen Seminar, sondern gingen in die Cafeteria und holten sich Kaffee.
    »Wenn dieser Mord einen Sinn hätte, dann den, dass ich darauf gestoßen wurde, diesen Betrieb zu verlassen.«
    Sie zuckte die Schultern. »Du wirst Depressionen kriegen, Josef. Ich kenne dich.«
    »Man kann nicht bekommen, was man schon hat.«
    »Mann, bist du ein Jammerlappen!«, rief sie.
    Er verstand, was in ihr vorging, bildete sich ein, er kenne jeden einzelnen Gedanken, den sie an ihn vergeudete. Natürlich rastete sie aus. Sie konnte nicht verstehen, wie man eine seit ewiger Zeit angestrebte Laufbahn aufgeben konnte. Einfach so. Und wie man etwas wegwarf, ohne zu wissen, was man stattdessen bekam. Eigentlich wusste er es ja. Er würde versacken, aber das war ohnehin sein Los. Früher oder später wäre er ohnehin untergegangen. Dann doch lieber selbstbestimmt.
    »Meinetwegen ist jemand ermordet worden. Ich hoffe, du hast es nicht schon vergessen.« Er klang bitter.
    »So ein Quatsch. Wie oft soll ich es noch sagen? Nicht deinetwegen. Ganz bestimmt nicht. Niemand bringt jemanden um wegen einer wissenschaftlichen Arbeit. Das gibt es nicht.«
    »Weshalb sonst?«
    »Die Polizei wird es herausfinden.«
    »Ach, die Polizei.«
    »Wer sonst?«
    »Ich nicht«, sagte er. »Ich habe alles versucht. Vielleicht war es Kraft, vielleicht war es Bohming. Vielleicht war es auch Georgie, aus welchem bekloppten Grund auch immer. Vielleicht war es ein Gespenst.«
    Er schaute wieder hinüber zur WiSo-Fakultät. »Dieser Kalterer rumort mir durchs Hirn«, sagte er. »Ich werde mir die Festschrift mal besorgen.«
    »Zeitverschwendung, du weißt doch, wie Festschriften sind. Das pure Grauen.«
    »Ich habe jetzt ja nichts mehr zu tun, außer das Seminar zu halten. Da kann ich mich auch mit Festschriften beschäftigen.«
    »Josef, du musst dir überlegen, wovon du leben willst nach dem Semester.«
    Ich muss mir überlegen, ob ich weiterleben will. Aber das sagte er ihr nicht. Sie schaut mich so merkwürdig an, als ahnte sie, was ich denke.
    »Hartz IV«, sagte er. »Ich brauch nicht viel. Außerdem habe ich Reserven. Nicht viel, aber für ein paar Monate reicht es.«
    »Du bist verrückt.« Sie klang traurig.
    »Das merkst du erst jetzt?«
    Sie stand auf, nahm ihren Becher und brachte ihn zur Geschirrrückgabe. Dann ging sie, ohne ein Wort zu sagen.
    Natürlich versteht sie mich nicht. Das passt nicht in ihre Vorstellungen. Ich hätte mich vor ein paar Wochen auch nicht verstanden. Da schien alles klar, Habilitation, danach Vertragsverlängerung, Bewerbungen, irgendwann eine feste Stelle an einer Uni. Ein bisschen spät, aber wenn man es geschafft hatte, juckte das niemanden mehr. Nun lief er aus dem Ruder. Er enttäuschte Bohming, aber vor allem Anne. Und was würde seine Mutter sagen? Am besten, sie erfuhr es nicht. Sofort meldete sich das schlechte Gewissen. Er hatte nicht mehr angerufen bei seiner Mutter. Später würde er es tun, bestimmt. Er saß noch eine Weile in der Cafeteria und dachte nach, ob seine Entscheidung richtig war. Kann eine Entscheidung richtig sein, wenn sie einen ins Unglück stürzt? Nein, berichtigte er sich, im Unglück stecke ich jetzt und würde es bleiben, wenn ich mich anders entschiede. Nur, was soll aus mir werden, aus einem gescheiterten Historiker Ende vierzig?
    Er verließ die Cafeteria und fuhr im Aufzug hoch ins Historische Seminar. In seinem Büro setzte er sich an den PC. Es würgte ihn. Er wollte aufspringen, hinauslaufen, ein anderes Büro fordern. Hier hielt er es nicht aus, immer musste er an Brigittes Leiche denken. Reiß dich zusammen. Du überwindest die Erschütterung nur, wenn du dich ihrer Ursache aussetzt, sonst hängt sie dir ewig nach. Also weitermachen. Bald brauchst du gar nicht mehr an die Uni zu kommen, die paar Wochen hältst du durch. Er kniff die Augen zu, dann öffnete er sie wieder. Such nach der Festschrift. Sie war natürlich längst nicht mehr lieferbar, aber bei einem Antiquariat fand er das Buch, Herausgeber: Vitus Müller-Zumdick, Festschrift für Gerhard Kalterer, Titel: Die Verantwortung des Historikers. Er bestellte das Buch.
    Ein Blick auf die Armbanduhr verriet ihm, dass er

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