Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)
der Mordkommission. Auch Taut war gekommen. Stachelmann ging zu einem Beamten, der die Absperrung vor einem Haufen von Neugierigen bewachte, und verlangte, mit Taut zu sprechen. Der Polizist ging zu Taut und zeigte auf Stachelmann. Taut winkte ihn heran. Stachelmann hob das Band und passierte die Absperrung. Jetzt sah er die Schmiererei am Philosophenturm. In Blutrot stand dort: Stachelmann raus! Nazis raus! Und dann noch ein riesiges Hitlergesicht, erkennbar an Schnurrbart und Stirnsträhne.
Stachelmann starrte auf das Graffito. Ihm schien es, als bildete er es sich ein. Das konnte da nicht stehen. Unmöglich. Stachelmann raus! Nazis raus!
»Was meinen Sie?«, fragte Taut.
Stachelmann zuckte die Achseln.
»Haben die Lübecker Kollegen sich bei Ihnen gemeldet?«
Stachelmann stutzte, dann fiel ihm der Polizeibesuch ein. »Ja.«
»Ich halte es für notwendig, Ihnen Schutz zu geben. Jetzt erst recht.« Er deutete auf die Inschrift. »Am liebsten wäre es mir, Sie blieben die kommende Zeit zu Hause. Wenn Sie unterwegs sind, ist es schwierig, auf Sie aufzupassen.«
Stachelmann antwortete nicht. Er wusste nicht, was er tun sollte. Dann fragte er: »Sie sind sicher, dass E.T. der schießwütige Irre ist oder etwas mit dem hier zu tun hat?«
»Nein, aber weil wir es nicht ausschließen können, dass da jemand Jagd auf Sie macht.«
Stachelmann lief es kalt den Rücken hinunter.
Taut schnäuzte sich. »Und ob es E.T. ist oder nicht, Sie sind in Gefahr.«
Sie sind in Gefahr, wiederholte Stachelmann in Gedanken. Er fühlte nichts, nicht einmal Angst. Als stünde er neben sich. Er schaute noch einmal auf das Graffito und fand es riesengroß. Ein Polizeifotograf blitzte immer wieder.
Stachelmann ließ Taut stehen und betrat den Philosophenturm. Im Aufzug betrachteten zwei Polizisten die Kritzeleien. Eine große Schrift, wie von einem Grundschüler, der sich mühte: Wir brauchen keine Revisionisten! Hau ab, Stachelmann!
Er nahm es zur Kenntnis ohne eine Regung. »Ich bin dieser Stachelmann. Wo noch?«, fragte er die Polizisten.
»Oben an der Wand, neben Ihrem Büro.«
Stachelmann las Mitleid und Neugier im Blick des jungen Polizisten, dessen Mütze und Jacke durchnässt waren.
Der Aufzug fuhr nach oben. Niemand sagte etwas. Stachelmann versuchte etwas zu fühlen, aber er war kalt und leer. Tatsächlich stand an der Wand neben der Tür seines Zimmers Hau ab!. Stachelmann schloss die Tür auf, ging hinein und suchte nach Spuren. Offenbar war niemand eingedrungen, immerhin.
Er wählte Annes Nummer und erzählte ihr, was geschehen war.
»Du kannst bei mir bleiben«, sagte sie fast tonlos.
»Nein, dann seid ihr auch in Gefahr. Das muss ich allein klären.«
»Du willst doch nicht schon wieder ...«
»Nein, ich will nicht Detektiv spielen. Das wollte ich noch nie.«
»Aha«, sagte Anne. Das mochte heißen, es ist nun also wie immer und es endet wie immer.
»Wenn E.T. gefunden ist, ist der Spuk vorbei.«
»Überlass es der Polizei.«
»Natürlich«, sagte Stachelmann. »Vielleicht kannst du herkommen, und wir schauen uns diesen so genannten thread in der Diskussionsgruppe noch einmal an.«
Schweigen. Dann sagte sie: »Gut, ich bring Felix unter, dann komme ich.«
Er war erleichtert. Dann fiel ihm ein, dass die Polizei den Philosophenturm abgesperrt hatte. Er trat hinaus in den Flur, entdeckte einen Polizisten und bat ihn, den Hauptkommissar Taut zu unterrichten, damit Frau Derling in den Philosophenturm hineingelassen würde. Der Beamte sprach in sein Handfunkgerät. Nach wenigen Sekunden erklang krächzend »In Ordnung« aus dem Lautsprecher.
Stachelmann setzte sich an seinen Schreibtisch und schaltete den PC ein. Er fand die Diskussionsgruppe. Ein neuer Eintrag, von einem Doppelwhopper.
Kann das in HH leider nicht sehen. Macht Fotos und zeigt die beim Treffen am Krema.
Er schaute diese Zeile lange an und überlegte, was das Krema sein könnte. Dann wusste er es. Ein Krematorium. Es gab also ein Treffen an einem Krematorium. Krematorien fand man auf Friedhöfen. Und in KZs. Er war ein Stück weiter. Wieder öffnete er die Tür seines Büros. Aber er sah keinen Polizisten mehr. Er fuhr wieder hinunter im Aufzug, überwand eine Angstattacke, als er ins Freie trat, und hetzte zu Taut, der in einer Gruppe von zivilen und uniformierten Polizisten stand. »Eine Nachricht!«, rief Stachelmann.
Taut schaute ihn fragend an, und Stachelmann erklärte, was er entdeckt hatte.
»Wo ist der Kollege Kurz?«, rief
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