Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)
erhalten und die Gebühr für Einäscherung und Versand bezahlt hätten.
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18
»Ich habe deine Arbeiten nochmal gelesen. Na ja, gelesen ist ein bisschen übertrieben. Aber ich weiß nun wieder, was darin steht. Hatte es schon vergessen.«
»Schön«, sagte Bohming. Er saß mit gestrecktem Rückgrat auf dem Schreibtischstuhl und starrte ihn an. Es lag Zorn im Blick. Aber der Mund lächelte. »Wurde ja mal Zeit.«
»In der Tat.« Stachelmann ließ seinen Blick übers Bücherregal streichen. Die Festschrift für Kalterer stand noch an ihrem Platz. »Es steht nicht viel drin. Das habe ich zwar schon vor ein paar Jahren bemerkt, aber damals war es mir eher egal. Aber nun bekommt dieser Umstand einen neuen Sinn.«
»Es muss ja nicht jeder so eine barocke Arbeit schreiben wie du«, sagte Bohming. Er klang selbstbewusst. Vielleicht dachte er, niemand könne ihm die Titel aberkennen. Und wenn dieser Idiot androhen wollte, seine Kritik an diesen Arbeiten, die Hamm betreut hatte, öffentlich zu äußern, na, dann sollte er es halt tun. Er würde widersprechen, in unseren postmodernen Zeiten galt das eine Wort so wenig wie das andere. Und morgen treiben sie eine andere Sau durchs Dorf.
»Das stimmt«, sagte Stachelmann. »Zumal meine Arbeit noch einen Haken hat.«
»Aha?«
»Es steht was über diesen Kalterer darin« – Stachelmann zeigte auf den Buchrücken, Bohming schaute ihn weiter an –, »das war ein Nazi.«
Bohming zuckte die Achseln. »Bis fünfundvierzig, danach hat er die Kurve gekriegt. Wie manch anderer auch. Wir haben Glück, diese Zeit nicht miterlebt zu haben. Wofür hätten wir uns entschieden? Fürs KZ?«
»Dieser Kalterer hat mich erst abgelenkt, dann aber auf eine Idee gebracht. Nämlich die, dass auch Hamm Nazi war. Und der war es tatsächlich.«
»Das sagt sich so leichthin. Als ich ihn kennen lernte, war er jedenfalls kein Nazi. Hat die SPD beraten.«
»Glaub ich gerne. Darum geht es aber nicht. Ich frage mich, wie schafft man es, mit solchen Arbeiten wie deinen die Bestnote zu bekommen? Um mal von den Titeln zu schweigen.«
»Für die Benotung bin ich nicht verantwortlich.«
»Da bin ich mir nicht so sicher, Hasso.«
Bohming schaute ihn scharf an. »Du sprichst in einem Ton, der mir nicht gefällt. Auch wenn ich es sonst nicht heraushängen lasse, ich bin dein Vorgesetzter ...«
»Du warst es. Ich werde die Uni verlassen. Das steht nun fest.«
Bohming schaute ihn ungläubig an. Dann lächelte er, um gleich wieder Stachelmann anzustarren.
»Du bist mich los, aber es hilft dir nichts. Du hast mich doch loswerden wollen, nicht wahr?«
»Du bist verrückt. Du hast vergessen, wer dich in all den Jahren unterstützt hat. Der Herr Kollege braucht ja immer ein bisschen länger.« Bohming beugte sich nach vorn. »Du bist undankbar. Und kollegial bist du auch nicht. Ich bereue, dass ich dir geholfen habe. Ich hätte dich zum Teufel jagen sollen.«
»Das hast du doch versucht, mit dem Griesbach.« Stachelmann dachte daran, wie er den toten Griesbach in seinem Kofferraum gefunden hatte.
Bohming lehnte sich zurück und ließ seinen Blick wandern. Dann beugte er sich wieder nach vorne, fixierte Stachelmann und schnaufte. »Ach, Unsinn. Wenn du willst, ein Angebot, ein letztes Angebot, ich besorg dir eine C4-Stelle. Ordinarius, das wolltest du doch immer werden. Das ist deine Chance.«
Jetzt wusste Stachelmann, dass er richtig lag. Endlich.
»Vergiss es. Und so schon gar nicht. Ich bin nicht wie du ...«
»Ich bin nicht wie du. Ich bin nicht wie du«, äffte Bohming ihn nach. »Nein, du bist der Stachelmann, der ist was Besseres, der ist ein Halbgott. Der würde einen Cent, den er auf der Straße findet, im Fundbüro abgeben. Du bist verrückt, völlig verrückt. Was glaubst du, wie die werten Kollegen zu Titel und Ansehen kamen? Wer entscheidet, welche Beiträge in Fachzeitschriften veröffentlicht werden? Wie die Besetzung von Stellen ausgekungelt wird? Es ist bei uns wie überall. Was glaubst denn du, wie Politiker nach oben kommen? Wie man Spitzenmanager wird und sich jede Kündigung vergolden lässt? Mein Gott, wo lebst du?«
»Hast du geschossen? Was hast du zu tun mit Brigitte Sterns Tod?«
»Raus!«, rief Bohming. »Mein Tipp: Alsterdorfer Anstalten.« Er zögerte, sein rot angelaufenes Gesicht bekam weiße Flecken. »Oder geh besser nach Neustadt. Aber schnell. Bevor du durchdrehst. Das ist ein guter Rat, Josef. Ein sehr guter Rat. Wenn du ihn annimmst, wirst du mir dankbar
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