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Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Titel: Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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einem Läufer zu der Tür am Ende des Flurs. Er blieb einige Sekunden stehen und horchte. Dann klopfte er an die Tür. »Hereinspaziert«, sagte die Stimme.
    Stachelmann schaute hinein. Es war ein Wohnzimmer. In einem Rollstuhl saß ein Mann und rauchte. Krücken lehnten am Sessel daneben. Der Mann hatte einen mächtigen Oberkörper und eine Glatze. Ein breites Gesicht lächelte Stachelmann an, aber es war nicht freundlich. Der Mann wies auf den zweiten Sessel am Glastisch. Darauf standen eine Kaffeekanne, zwei Tassen und eine Zuckerdose. Auf einer Kommode erkannte Stachelmann Fotos, darauf eines mit einem Mann auf einem Motorrad.
    Der Mann zeigte auf die Kaffeekanne. »Wenn Sie möchten, schenken Sie ein. Ihnen fällt das leichter als mir.«
    Stachelmann hatte keine Lust auf Kaffee, aber er schenkte ein. Der Kaffee roch gut. Stachelmann setzte sich in den Sessel. Er schaute Kraft an, der beugte sich vor und nippte an der Tasse. »Gitte ist immer noch nicht aufgetaucht«, sagte er. »Jedenfalls hat sie sich nicht bei mir gemeldet.«
    Stachelmann überlegte, was Brigitte mit diesem Mann zu tun haben könnte. »Bei mir auch nicht. Genauso wenig bei ihrem Mitbewohner.«
    »Diesem Georgie.« Er zog das »ie« lang. Es klang verächtlich.
    »Sie haben nicht den Hauch einer Ahnung, wo sie sein könnte?«
    Kraft schüttelte den Kopf. »Sie hat ja eher zu oft angerufen, und sie ist auch häufig gekommen. Obwohl ich ihr gesagt habe, ich käme allein zurecht.«
    »Woher kennen Sie Brigitte?«
    Kraft schaute ihn unfreundlich an. »Was hat das mit ihrem Verschwinden zu tun? Wenn es das denn sein sollte.«
    »Möglicherweise hat alles und nichts damit zu tun.«
    Kraft nickte bedächtig. »Sie hat mir von Ihnen erzählt. Sie mag Sie, warum auch immer. Sie würden zwar Schwachsinnsthesen vertreten, aber die Studenten würden immerhin lernen zu widersprechen.«
    Stachelmann musste lachen.
    Kraft schaute wieder unfreundlich.
    »Was haben Sie also mit ihr zu tun?«, fragte Stachelmann.
    »Wir diskutieren. Ich habe noch nie einen jungen Menschen kennen gelernt, der so wissbegierig ist. Und ich kenne viele junge Menschen, jedenfalls kannte ich früher viele. Ich war für die Jugendarbeit zuständig in der Partei. Damals, vor dem Zusammenbruch des Sozialismus, war die Partei in Hamburg recht stark gewesen, ein paar tausend Mitglieder. Und viele Jugendliche. Damals dachte ich, die wären unsere Zukunft, zeitweise sah es ja ganz gut aus. Aber dann kam dieser Verräter Gorbatschow und hat alles zerstört. Auch in meiner Partei sind dem ein paar auf die Leimrute gegangen. Jetzt ist alles kaputt, und der Genosse Gorbatschow hat ausgesorgt.« Er legte alle Verachtung in das Wort »Genosse«.
    Stachelmann staunte, Kraft lebte in einer Wahnwelt. Warum diskutierte Brigitte mit diesem Mann? Stachelmann schaute sich um und sah in der Glasvitrine Buchrücken, rote, braune, blaue. Lenin entzifferte er. Stalin, auch Marx/Engels. »Und was erfährt Brigitte bei Ihnen?« Fast hätte er gesagt »erfuhr sie«. Er fühlte sich unwohl.
    Kraft lehnte sich zurück. Er schnaufte, dann sagte er: »Sie wollte etwas über den Sozialismus erfahren.«
    »Welchen?«
    »Na, den realen, also den wirklichen. Einen anderen gibt es doch nur in den Hirnen von ... Spinnern.«
    Stachelmann lag ein Widerwort auf der Zunge. Aber er war nicht gekommen, um einen Altstalinisten zu bekehren, was ohnehin unmöglich war, sondern um Brigitte zu finden. »Georgie sagte, Sie wüssten vielleicht, wo ich Brigitte finde.«
    Kraft guckte Stachelmann eine Weile an, als wollte er erforschen, wie Stachelmanns Interesse an Brigitte geartet sei.
    »Sie waren der Letzte, den sie angerufen hat. Jedenfalls übers Festnetz.«
    »Sie hat oft angerufen. Sie hatte Fragen zur Partei. Sie ist sehr ernsthaft. Wahrscheinlich stellt sie irgendwann einen Aufnahmeantrag.«
    »Ihr geht es vor allem um den Nazismus«, sagte Stachelmann.
    Kraft zündete sich eine Zigarette an.
    »Und um den Antifaschismus. Vor allem darum. Wir haben viel über die DDR gesprochen. Da war natürlich nicht alles Gold, aber antifaschistisch war sie doch. Als in Westdeutschland die alten Nazis wieder ans Ruder kamen, ich sage nur Globke, Oberländer, da wurde in der DDR reiner Tisch gemacht. Die Nazilehrer flogen raus, die Nazirichter, na, Sie wissen das ja.«
    Stachelmann hatte keine Lust, sich vollquatschen zu lassen von einem Mann, der die Welt bestenfalls einäugig wahrnahm.
    »Sie sind da anderer Meinung, ich weiß. Brigitte

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