Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)
Gesprächspartner, vielleicht sogar eine Art Vorbild für sie?«
»Hm. Möglich, vielleicht. Sie hat jedenfalls oft von ihm gesprochen. ›Manfred hat gesagt‹, das war so eine Redewendung von ihr. Vorbild oder so was Ähnliches, das war er.«
»Hast du was mitgekriegt von dem Streit?«
»Nee. Halt, wenn ich's mir genau überlege, war sie in letzter Zeit öfter mal mies drauf.«
»Wie hat sich das geäußert?«
»Bei ihr so, dass sie noch weniger geredet hat und in ihrem Zimmer hockte. Und wehe, ich habe sie gestört. Bei Anrufen hieß es dann: Wer ist dran? ... Der? Ich bin nicht da.«
»Ich habe diesen Kraft ja besucht, das ist ein schrecklicher Typ. Völlig vernagelt.«
»Ideologisch, meinst du.«
»Ja, genau. Ich kann nicht begreifen, wie eine junge Frau etwas an diesem Kerl findet. Der ist im Kopf ein Greis, Stalinverehrer, langweilig.«
»Hm«, sagte Georgie.
Stachelmann glaubte wieder, Kraft könnte zu tun haben mit der Sache. Womöglich wusste er, wo Brigitte war. Vielleicht steckte er selbst hinter allem? Das war ein vergrätzter Mann ohne Zukunft, gekränkt durch alles und jeden, rachsüchtig, das Bild schien Stachelmann stimmig zu sein. So war Kraft. Nur, warum sollte er Brigitte etwas antun? Wegen eines Streits? Mag sein, aber es überzeugte Stachelmann nicht. Könnte aber sein, der hatte ihr geraten abzutauchen. Aber warum sollte ihr jemand das raten?
Er versuchte sich vorzustellen, was sie besprochen hatten. Vielleicht war sie in seiner Wohnung gewesen. Kraft starrt sie an, wenn er glaubt, sie merkt es nicht. Sie ist aufgestanden und zum Fenster gegangen, aber sie sieht nicht, was draußen ist, sondern überlegt. Dann, so kann es doch gewesen sein, hat sie vielleicht gesagt: »Ich muss es dem Stachelmann sagen, ich halte es nicht mehr aus.«
»Warum? Willst du deine Freunde ans Messer liefern? Wenn du dem das sagst, dann bohrt der weiter, glaub mir.«
»Lügen, lügen, immer nur lügen!«
»Wenn es die Sache verlangt, muss man auch lügen. Das ist nur eine andere Form der Wahrheit.«
»Ich sehe den jede Woche, inzwischen zwei-, dreimal. Und wie soll ich dem in die Augen blicken, nach dem, was geschehen ist? Sag es mir, Manfred! Du hockst in deiner Wohnung und predigst die Wahrheit. Aber ich bin da draußen, verstehst du? Und das ist kein Spaß mehr, auch keine Kampagne, das war versuchter Mord.«
»Mord ist manchmal kein Mord, so wenig wie eine Lüge immer eine Lüge ist.«
»Warum, hast du geschossen?«
Kraft schüttelt den Kopf und zeigt auf die Krücken.
»Aber du weißt, wer es war.«
Kraft schüttelt wieder den Kopf. »Gitte, Gitte, komm her.« Brigitte setzt sich auf das Sofa, nicht weit von ihm in seinem Rollstuhl.
»Noch näher, sodass ich dich berühren kann.«
Sie zögert, dann setzt sie sich auf den Boden neben den Rollstuhl. Er streicht ihr über den Kopf, zwickt sie zärtlich ins Genick. »Du bist überanstrengt. Du hast deine Nerven nicht mehr unter Kontrolle.« Er massiert ihren Kopf. »Ich habe kein Verbrechen begangen, ganz bestimmt nicht. Ich schwöre es dir.«
Sie entspannt sich.
»Glaubst du es mir?«
»Ja«, sagt sie. Die Massage beruhigt ungemein. Er hat eine kräftige Hand, ein schöner Schauder läuft ihr den Rücken hinunter.
»Du verschwindest vielleicht für eine Weile. Mach mal Urlaub. Früher hätte ich dir vorgeschlagen, zu den Genossen zu gehen. Aber wenn du vielleicht in den Süden willst oder in den Norden? Ein Billigflieger bringt einen weit weg. Und wenn es dir am Geld fehlt, ich habe ein bisschen gespart.«
»Was ist?«, fragte Georgie.
»Nichts. Oder doch. Ich habe überlegt, ob wir Kraft vielleicht doch überwachen sollen. Aber das schaffen wir nicht. Hast du ihre Eltern angerufen?«
»Heute früh, die wissen nichts. Ich musste schrecklich aufpassen, um die nicht in Panik zu versetzen.«
Stachelmann überlegte, was Georgie noch alles getan hatte. Aber er fragte ihn nicht, er wusste, Georgie würde nur sagen, was er für richtig hielt.
Stachelmann widmete sich wieder dem Schreibtisch und Georgie dem PC. Brigitte war ordentlich und unordentlich zugleich. Er las in den Papieren, die herumlagen, betrachtete ein paar Fotos, hielt einige davon Georgie hin, der aber nur den Kopf schüttelte. Er fand unter Stapeln von linken Zeitungen die Buchausgabe seiner Doktorarbeit, blätterte darin, fand Unterstreichungen, hin und wieder ein Fragezeichen am Rand, dreimal ein mit kräftiger Hand geschriebenes »Nein!«. Er grinste und versuchte ein
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