Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)
Freundin?«
Georgie nippte an seinem Kaffee. »Hm. Die heißt Karla und wohnt hier um die Ecke. Allerdings, in letzter Zeit war das wohl nicht mehr so toll.«
»Nichts wie hin. Oder hast du die auch schon angerufen?«
»Ja. Die weiß nichts. Sagt sie. Jetzt durchsuchen wir Gittes Zimmer, und zwar gründlich. Und noch was: Wenn die Sucherei nichts bringt, dann gehst du zu den Bullen und machst Dampf. Vermisstenanzeige. Okay?«
»Klar.« Stachelmann stand auf und wartete, bis Georgie sich hochgequält hatte. Der schien über Nacht zum Greis geworden zu sein.
Stachelmann empfand es als ein Eindringen in eine verbotene Welt. Was würde Brigitte denken, wenn sie die beiden Männer sehen könnte, die ihr Zimmer durchwühlten? Georgie setzte sich an den PC und begann systematisch alle Programme aufzurufen und ihre Datenbestände zu prüfen. Bald stöhnte er, Hunderte von Texten habe Brigitte gespeichert, und auch wenn er vielen gleich ansah, dass sie nicht helfen würden, war er genervt. Stachelmann begann mit dem Kleiderschrank, den Brigitte offenbar geerbt oder beim Trödler erstanden hatte. Die Tür klappte aus dem oberen Scharnier, und Stachelmann hob sie aus dem unteren, um den Schrank zu öffnen. Er lehnte die Tür rechts an den Schrank. Links oben lagen Blusen, ordentlich zusammengefaltet, wie der Schrank überhaupt zeigte, dass Brigitte pfleglich umging mit ihren Dingen. Er faltete jede Bluse auseinander und legte sie wieder zusammen. Seltsam war ihm, als er ihre Unterwäsche durchsuchte. Einen Augenblick kam er sich vor wie ein Perverser.
Enttäuscht schaute er zu Georgie. Er sah, wie der immer schlapper wurde. Hatte er etwas gefunden im PC, das ihm zusetzte, oder war er einfach nur platt? Er kramte weiter im Schrank, staunte über Kleider, die ihm extravagant bis gewagt erschienen, und setzte die Schranktür wieder mit einiger Mühe ein.
Er stellte sich neben Georgie und bewunderte das Geschick, mit dem dieser den PC bediente. Manchmal stöhnte Georgie leise, als quälten ihn Zahnschmerzen. »So ein Chaos auf der Festplatte«, sagte er mehr vor sich hin. »So ein Chaos!«
»Und?«, fragte Stachelmann.
»Hm. Und was?«
»Hast du was gefunden?«
»Nee.«
Stachelmann begann den Schreibtisch zu durchwühlen. Im oberen Schubfach fand er Kugelschreiber, Bleistifte, ein Lineal, eine Schere und vor allem Staub, der ihn niesen ließ, als er die Schreibwerkzeuge verschob.
»Mensch, mach das Ding zu«, sagte Georgie und hustete mehr demonstrativ als erzwungen.
Stachelmann öffnete die nächste Schublade. Darin waren Hefte, Blöcke, Briefumschläge, ein Holzkästchen, in dem Schmuck lag, wohl eher von ideellem Wert. Ein Album war mit einem Riemen verschlossen. Stachelmann nahm es und betrachtete das Schloss. Den Schlüssel würde er nicht finden, also zog er das obere Schubfach wieder auf und erzeugte eine weitere Staubwolke, als er die Schere herausnahm. Er schloss das Schubfach schnell und zerschnitt den Albumverschluss. Als er es aufschlug, sah er gleich, es war ein Tagebuch oder etwas Ähnliches. Er setzte sich aufs Bett, sank tief ein und blätterte. Ein Tagebuch, mit unregelmäßigen Einträgen. Der letzte stammte von vor drei Wochen, Stachelmann mühte sich, die Krakelschrift zu lesen. Sie hatte offenbar Streit gehabt mit einem Kerl, den sie mit »M.« abkürzte. Er quälte sich noch mit einigen Notizen davor herum, aber die handelten von Politik und Antifaschismus. Stachelmann empfand sie als pubertär, diese bloße Empörung über Verbrechen, die viele noch gar nicht verstanden hatten. Er blätterte zurück zum letzten Eintrag. Er las die Zeilen immer wieder, bis es ihm endlich gelang, alle Wörter zu entziffern.
M. hat gesagt, ich sei eine Flasche. Also, er hat es nicht so gesagt, aber so gemeint in dem für ihn typischen Geschwurbel. Mir fehle die Konsequenz. Wenn man etwas wirklich verstanden habe, dann müsse man die Konsequenz ziehen, sonst zeige man nur, dass man es doch nicht verstanden habe oder zu feige sei. Dumm oder feige. Er ist in letzter Zeit unheimlich aggressiv. Er quatscht mich voll. Aber irgendwie glaub ich ja, er hat recht. Erkennen u. handeln. Das ist eine Einheit. Wer nicht handelt, hat nichts erkannt. Oder zu wenig. Oder ist, s. o., ein Weichei.
»Wer könnte M. sein?«
Georgie drehte sich mitsamt dem Schreibtischstuhl um. Er grübelte.
Stachelmann sagte: »Sie hatte Streit mit ihm. M. ist vielleicht Manfred Kraft?«
Georgie nickte. »Könnte sein.«
»War der mehr als ein
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