Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)
er es leid sei, wenn Kollegen immer wieder alte Geschichten aufwärmten. Er hält die Beschäftigung so vieler Historiker mit dem Nationalsozialismus für eine billige Mode.«
»Billige Mode, das hat er gesagt?«
»Genau so. Aber das Manuskript sei im Allgemeinen recht ordentlich, und der Verlag brauche sich keine Sorgen zu machen.«
»Wie beruhigend«, sagte Stachelmann. Er hoffte, der Hohn in seiner Stimme würde nicht überhört. Seine Laune verfinsterte sich, weil er nun wusste, er würde womöglich nach Berlin fahren müssen, um mit Weidenmeyer zu sprechen. Erstens um zu erfahren, ob der hinter dem Wahn steckte, zweitens um herauszubekommen, ob der Professor das Manuskript weitergegeben hatte. Stachelmann überlegte, ob er nicht zu viele Spuren gleichzeitig verfolgte. Er wusste doch, dass Brigitte mit der Sache zu tun hatte. Vielleicht sollte er sich erst einmal darauf konzentrieren, sie zu finden, weil ihn das vermutlich eher weiterbrachte. Außerdem war es ihm ein Gräuel, Weidenmeyer zu treffen. Schmid schaute ihn fragend an, der Verleger dachte offenbar, Stachelmann denke nach, was er nun sagen solle.
»Und Weidenmeyer ist der Einzige, dem Sie ein Exemplar überlassen haben, abgesehen von Setzern, Druckern und so weiter?«
Hoch nickte. »Ja. Da bin ich sicher.«
»Und wenn diese Schüsse nichts zu tun haben mit Ihnen und Ihrer Arbeit?«, fragte Schmid.
Stachelmann verriet ihm nicht, dass er darüber längst nachgedacht hatte und zu dem Schluss gekommen war, er könne nur die Spur verfolgen, die ihm erfolgversprechend erschien. Also erst Brigitte, dann Weidenmeyer. Aber wenn er Brigitte nicht fand und die Polizei auch nicht, dann müsste er sich wohl an Weidenmeyer halten, wenn er nicht untätig herumsitzen wollte. Es sei denn, alles kam anders.
Sein Blick schweifte zum Schachspiel mit der Nimzo-Indischen Verteidigung, wie sie im Schachjargon gern abgekürzt wurde. Irgendetwas sagte ihm dieses Brett oder die Figuren oder die Stellung. Irgendeine Erinnerung wohl aus Kindestagen, als er mit dem Vater Schach spielte. Aber das hatten sie schon lange vor seinem Tod nicht mehr gemacht. Zuletzt hatten sie sich gestritten. Der Gedanke daran machte Stachelmann traurig. Aber wahrscheinlich hatte es so kommen müssen, und wie hätten sie sich versöhnen sollen, wenn der Vater darauf beharrte, sich in der Nazizeit nur so verhalten zu haben, wie es unvermeidlich gewesen sei. Hätten sie mich nicht Häftlinge beim Bombenräumen bewachen lassen, sondern nach Russland geschickt, dann wärst du wahrscheinlich nie geboren worden. Russland bedeutete Tod oder Gefangenschaft. So wenig der Sohn den Vater verstanden hatte, so wenig der Vater den Sohn. Du kannst dich eben nicht hineinversetzen in unsere Lage damals. Und die Mutter hatte es genauso gesehen. Sie hatte am meisten gelitten unter dem Bruch und versucht, ihn zu kitten. Aber die Klebeflächen passten nicht aufeinander.
»Man kann ja über Professor Weidenmeyer verschiedener Ansicht sein. Aber er würde sich doch nie auch nur in die Nähe von solchen Gangstern begeben.«
Fast hätte Stachelmann erwidert, dort halte sich dieser Herr ständig auf, weil er seinen Kopf ja nicht folgenlos vom Körper trennen könne. Aber Schmid hatte Recht. Auch Stachelmann konnte sich nicht vorstellen, dass Weidenmeyer sich auf so etwas wie eine Kampagne oder einen Mordanschlag einlassen würde. Weidenmeyer war deutschnational, borniert dazu, aber nicht dumm. Wenn er jedoch einem Assistenten die Arbeit gegeben und sie nicht selbst gelesen hatte? Er wäre nicht der erste Professor, der sich lästige Arbeit vom Hals hielt. Also doch nach Berlin fahren und Weidenmeyer aufsuchen?
»Herr Dr. Stachelmann, ich muss noch einmal auf mein Anliegen zurückkommen, Sie werden es verstehen. Wann gedenken Sie den Vertrag zu unterschreiben? Es hätte doch auch den Vorteil, dass Sie dann frei wären und einen anderen Verlag finden könnten, was Ihnen angesichts der Qualität Ihres Manuskripts keine größeren Schwierigkeiten bereiten dürfte.«
Merkte der Mann nicht, dass er Unsinn redete, oder glaubte er, Stachelmann ließe sich ins Bockshorn jagen? Jedenfalls hatte Schmid sich eben selbst das Zeugnis ausgestellt, feige zu sein. Er musste doch unterstellen, dass auch andere Verlage erpresst würden, sobald sie sich auf die Habilschrift einließen. Stachelmann war sich längst sicher, dass er Schmid nicht mehr als Verleger seines Buches wollte, aber es bereitete ihm Freude, den Feigling zappeln zu
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