Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)
gerne was anhängen, nicht wahr?
Stachelmann setzte sich wieder in den Sessel. Schmid betrachtete noch eine Weile das Schachbrett, wiegte den Kopf, als überlegte er eine Fortsetzung, vielleicht das Leningrader-System – Stachelmann grinste innerlich –, also den Läufer f8 auf b4, aber Stachelmann musste nicht raten, um zu verstehen, dass Schmid nicht an Schach dachte und schon gar nicht an die Weiterungen des dänischen Großmeisters Nimzowitsch. Endlich bewegte sich der Verleger zum Sofa.
»Nun, ich habe mit Frau Völkel gesprochen, und die sagt, wir hätten Fahnen im Haus. Das bedeutet, dass die Setzerei das Manuskript ins Satzformat konvertiert und belichtet hat. Die Leute, die daran beteiligt waren, kennen das Manuskript mehr oder weniger. Jedenfalls hatten sie alle die Möglichkeit, es zu lesen, sich Kopien zu ziehen. Ich habe Frau Völkel, sie leitet unser Lektorat, ist aber auch Mädchen für alles, in einem kleinen Verlagshaus ist das so, ich habe sie also gebeten zu prüfen, wo gesetzt wurde. Ich erinnere mich, dass wir das nach Holland oder Italien gegeben haben. Wir hatten sogar schon eine Kooperation mit einer Druckerei in Hongkong.« Er lachte, aber es klang verkrampft.
In was für einer Vorstellung sitze ich? Der Typ spielt ein merkwürdiges Spiel, obwohl er doch weiß, um was es geht. Er schaute wieder zum Schachbrett und dann zu Schmid. Auch dessen Blick richtete sich auf das Marmorbrett mit den Elfenbeinfiguren. Der fragt sich, warum ich hinschaue. Und hab ich nicht gerade eben Angst gesehen in seinen Augen? Hier ist etwas, das ich nicht verstehe. Was für einen Grund könnte Schmid haben, sich zu fürchten? Er blickte wieder in dessen Augen, aber diesmal fand er die Angst nicht mehr.
Es klopfte an der Tür, Schmid rief »Herein!«, dann erschien eine Frau mittleren Alters. Sie blieb in der Tür stehen, bis sie der Verleger gönnerhaft heranwinkte. Die Frau stellte sich an den Tisch, gegenüber von Schmid, nachdem sie Stachelmann mit einem knappen Nicken begrüßt hatte. Er war der Feind, das zeigte sie.
»Die Setzerei Monserati in Bergamo«, sagte sie.
»Aha«, sagte Schmid. »Danke.« Er winkte knapp zur Tür hin, und Frau Völkel verschwand. Kaum war sie aus dem Zimmer, hatte Stachelmann vergessen, wie sie ausgesehen hatte.
»So ist das heute«, sagte Schmid.
Stachelmann überlegte, ob Schmid ihn angelogen hatte und ob der Auftritt von Frau Völkel zu einer Inszenierung gehörte, deren Sinn Stachelmann nicht begriff. Aber verriet es nicht genug, dass Schmid überhaupt ein Stück aufführte, auch wenn Stachelmann noch nicht ahnte, ob es eine Komödie, Tragödie oder etwas aus dem Ohnsorg-Theater war?
»Aber es gibt ja auch in Italien Leute, die Deutsch sprechen.«
Schmid lächelte. »Natürlich. Aber wie es scheint, machen die einen großen Bogen um die Setzerei.« Er lächelte immer noch.
»Wie kann man ein deutsches Manuskript setzen, ohne Deutsch zu können?«
»Das ist heute alles anders. Wir schicken denen die Datei im Format einer beliebigen PC-Textverarbeitung, die konvertieren und belichten das und schicken die Filme zurück. Die werden hier kopiert, und ein Korrekturbüro prüft die Fahnen. Wissenschaftliche Bücher werden ja auch nicht redigiert, das ist alles in der Verantwortung unserer Autoren. Und in meiner, die richtigen Autoren auszusuchen, also solche, denen man zutraut, einen wissenschaftlichen Text ohne Babysitter zu verfassen. Wie Sie eben. Und wir wären glücklich, Ihre Arbeit zum verabredeten Zeitpunkt zu veröffentlichen, wenn da nicht diese Sache wäre ...« Er krümmte sich ein wenig auf dem Sofa, wie um anzudeuten, wie groß der Schmerz sei, nicht tun zu können, was er versprochen hatte. »Also, wir wären bereit, über eine Abfindung zu sprechen. Natürlich keine riesige Summe, wir sind nur ein kleiner Verlag mit einem bescheidenen Verlagsprogramm. Aber vielleicht nehmen Sie die Abfindung auch als Entschuldigung an für etwas, das wir tun müssen, auch wenn wir es ungern tun. Doch ich kann es nicht verantworten, dass meinen Mitarbeitern etwas geschieht. Das ist meine erste Sorge.«
»Und in Ihrem Verlag, wie viele Mitarbeiter kennen mein Manuskript?«
Er kratzte sich an der Stirn. »Frau Völkel natürlich und wahrscheinlich ihr Assistent. Ich, versteht sich, auch wenn ich Ihr Manuskript nicht ganz lesen konnte. Die Zeit, die Zeit.«
Stachelmann hätte gewettet, dass Schmid nicht mehr als drei Seiten gelesen hatte. »Wie heißt der Assistent von Frau
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