Luegen auf Albanisch
Großmutter! Sie würde sie nie wiedersehen. Hier gab es niemanden, der diese Geschichten kannte, der Lula oder ihre Oma kannte. Lula weinte um ihre Oma, ihre Eltern und ihre Kindheit, um ihre Heimat, alles verloren, um den Kommunismus, ab mit Schaden, um die Gesetzlosigkeit, die Krawalle, die Gewalttätigkeit, die nie endenden Probleme. Denn ihr einst wunderschönes Heimatland befand sich jetzt in den Händen von Giftmüllabladern und Frauenhändlern und Geldwäschern. Sie weinte darum, ihr Land zu vermissen, es nicht zu vermissen, nichts zu haben, das sie vermissen konnte. Sie weinte über die Einsamkeit und Unsicherheit ihres Lebens unter Fremden, die nach wie vor ihre Meinung ändern und sie nach Hause schicken konnten.
Sie blinzelte. Die drei Männer starrten sie an wie durch eine verregnete Windschutzscheibe.
»Krieg dich wieder ein!«, brüllte Guri. Lula hörte zu weinen auf, schlagartig kuriert, wie nach einem Schluckauf.
»Wir werden nach dir sehen«, sagte Alvo.
Lula wischte sich das Gesicht trocken und fragte: »Wann?«
»Keine Bange«, sagte Ledermantel. »Wir kommen, wenn wir kommen.«
2
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Lula sah zu, wie ihre drei neuen Brüder vorsichtig in den SUV stiegen, als wären sie zerbrechliche Fracht. Ledermantel auf den Fahrersitz, Kapuzenshirt neben ihn. Alvo auf den Rücksitz.
»Bis bald«, sagte sie kläglich.
Das Haus schwamm ins Blickfeld. In zwei Stunden würde Zeke heimkommen, und der Ort einer Schlägertrupp-Zusammenkunft musste wieder in die Vorortoase verwandelt werden, in der ein verantwortungsbewusster Vater seinen Sohn in den Trümmern seiner Ehe großzog.
Lula nahm den Revolver mit nach oben. An ihrer Badezimmertür blieb sie stehen. Ein Vorteil ihrer jetzigen Unterkunft bestand darin, ein eigenes Badezimmer zu haben. Wie rasch war es ihr zum Bedürfnis geworden, einen eigenen Mittelschichts-Privatbereich zu haben, statt sich mit einer dreckigen Gemeinschaftslatrine in einem Wohnblock zufriedenzugeben. Sie war froh, nicht dieselbe Toilette benutzen zu müssen wie Mister Stanley oder warten zu müssen, während sich Zeke jeden Morgen eine Stunde dort einschloss und wer weiß was tat. Lula hielt ihr Badezimmer gern sauber und bescheiden ausgestattet mit Schönheitsprodukten, die sie mit Dunia im East Village gekauft hatte und nur widerwillig ersetzte, nachdem jedes kostbare Tröpfchen herausgequetscht worden war.
Sie musste an die Szene in Der Pate denken: die Waffe in den Spülkasten geklebt. Solche Verrenkungen waren nicht nötig, um etwas in Mister Stanleys Haus zu verstecken. Ihr erster Gedanke war, den Revolver in die Schublade zu ihrem Geld zu legen. Aber selbst die vernünftige Lula war nicht gegen Aberglauben gefeit. »Heb nie deine Waffe bei deinem Geld auf«, war vermutlich ein albanisches Sprichwort oder sollte es sein.
Schließlich steckte sie den Revolver in ihre Unterwäscheschublade. In einem normalen Haus mit normalen Männern wäre das der letzte Platz gewesen. Aber weder Mister Stanley noch Zeke würde dort nachschauen. Es war etwas sehr Amerikanisches, die Regeln für Privatsphäre und Respekt einzuhalten, dazu gedacht, Männern und Frauen zu glücklichen, gesunden Beziehungen zu verhelfen. Bei ihr zu Hause galten andere Regeln: Du gabst vor, von allem fasziniert zu sein, was dein Freund sagte, bis du den Ring hattest, und er gab vor, dir zuzuhören, bis du ihm erlaubtest, mit dir zu schlafen. Nach der Heirat konnte man sich dann wieder ignorieren oder sich tolerieren und getrennte Leben führen. Einstweilen war es erregend, Alvos Revolver in ihrer Unterwäscheschublade aufzubewahren. Fast als wäre es Alvo.
Angesichts des Zustands ihrer Unterwäsche war sie froh, dass der Revolver nicht Alvo war. Meist trug sie billiges Synthetikzeug aus den Grabbelkisten auf der Vierzehnten Straße, bis auf einen schicken BH und Seidenslip, lavendelfarben mit Litze in dunklem Pink. Der BH allein hatte sie das Trinkgeld einer ganzen Woche im La Changita gekostet. In einer Zeitschrift hatte sie gelesen, eines der zehn obersten Geheimnisse einer erfolgreichen Frau bestehe darin, teure Unterwäsche unter ihrem Businesskostüm zu tragen. Ich trage sie für mich selbst, hatte ein weiblicher CEO erklärt. Das ist meine Geheimbotschaft von mir an mich. Lula hatte die kostspieligen Dessous gekauft, sie jedoch nie getragen oder die Geheimbotschaft empfangen, die hätte lauten können: Wen glaubst du denn auf den Arm nehmen zu können? Sie hatte die Dessous nicht für Erfolg im
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