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Luegen auf Albanisch

Luegen auf Albanisch

Titel: Luegen auf Albanisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francine Prosse
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Estrelia summte mit. Jetzt konnten die von der Spurensicherung ruhig kommen! Jede Schuppe, die sich von Kapuzenshirts Knöchel abgeschält haben mochte, war für Estrelia einfach nur mehr Staub.
    Nach einem kurzen Gespräch, wie es Estrelias Sohn Sebastian ginge (gut), und Estrelias Mann (auch gut, gracias ), spielten Lula und Estrelia ein Übersetzungsspiel, tauschten grundlegendes Vokabular in Englisch, Spanisch und Albanisch aus. Estrelia kannte alle Möbelwörter, und sie waren zu Farben übergegangen. Estrelia hob ein Kissen hoch und erklärte pantomimisch, was für ein Grün das sei – Bäume nein, Vögel nein, Fluss ja, in den Fluss tauchen. Lula sagte Nilgrün, dann auf Albanisch Flussgrün, und Estrelia sagte was mit verde . Dann weiter zu der Häkeldecke, aber es gab in keiner Sprache Wörter für die Acrylfarbtöne dieses Beispiels selbstgemachten Ginger-Dekors.
    Estrelia war fast mit dem Essbereich fertig, und Lula wollte gerade in ihr Zimmer gehen, weil es noch viel peinlicher war, vor dem Badezimmer herumzulungern und die spanischen, albanischen und englischen Wörter für Klobürste zu vergleichen. Doch in diesem Moment stocherte Estrelia mit dem Staubsaugerschlauch in dem Sessel herum, auf dem Alvo gestern gesessen hatte. Der Staubsauger hustete, und Estrelia zog einen Papierschnipsel heraus, den sie Lula reichte.
    Lula glättete ihn auf dem Tisch. In schwachem lila Druck stand da die Adresse eines Supermarkts in Manhattan. Ein Liter Orangensaft, 2.59. Zigaretten, 7.95. Falls Mister Stanley nicht zu rauchen begonnen hatte (unmöglich) oder Zeke nach Manhattan gefahren war, um Zigaretten zu kaufen (unwahrscheinlich), oder der Kassenzettel hier seit Gingers Zeiten gelegen hatte (dafür war Estrelia viel zu gründlich), konnte der einzige logische Schluss nur lauten, dass er aus Alvos Tasche gefallen war.
    »Oh, danke, der gehört mir«, sagte Lula. Was sollte sie mit einem Kassenzettel? Ihn als Erinnerungsstück aufheben? Ihn benutzen, um Alvo im Einkaufsladen seiner Nachbarschaft aufzulauern? »Danke. Den hatte ich verloren. Ich brauche ihn. Wegen der Steuer.« Steuer? Sie steckte den Kassenzettel in die Tasche und bedeutete Estrelia, ihr in die Küche zu folgen.
    Estrelia erstarrte. Dachte sie, eine dezente Beförderung hätte Lula von einer Mitangestellten zur Chefin erhoben, nicht mehr die freundliche junge Frau, sondern eine schroffe Zuchtmeisterin, die auf vernachlässigte Pflichten hinwies? Lula umfasste Estrelias Ellbogen mit einem Druck, der Zuneigung vermitteln sollte, ihr aber wahrscheinlich wie der Griff eines Polizisten vorkam, der einen Verdächtigen abführte.
    Estrelia setzte sich an den Küchentisch, während Lula ihr ein Sesambrötchen mit roter Paprikapaste und Frischkäse bestrich.
    Sie sagte: »Zeke und Mister Stanley wollen sie nicht probieren. Und ich schaffe das nicht alles allein.« Estrelia knabberte an dem Brötchen, nickte heftig und lächelte. Dann zog sie ihre aufgemalten Brauen zu einer freundlichen Frage über das Brötchen zusammen.
    Lula hätte Estrelia gerne von ihrer Oma erzählt. Sie hätte gerne gefragt, ob Estrelia eine Oma hatte, ob die noch lebte oder tot war. Lula kannte das spanische Wort für Oma nicht. Sie deutete auf das Brötchen, machte einen Buckel, tat so, als ginge sie am Stock und schaukle ein unsichtbares Baby.
    Estrelia kapierte es, oder kapierte irgendwas.
    »Sabroso «, sagte Estrelia.
    Jedes Mal, wenn Lula nach Manhattan fuhr, hörte sie Dunia sagen: »Zehn Meilen, wenn man schwimmt.« Trockenen Fußes musste man entweder über die George-Washington-Brücke, durch den Tunnel oder mit dem Zug fahren. Für die am wenigstens umständliche Route waren zwei kleine Busse erforderlich und dann ein großer Bus, der einen ins Stadtzentrum brachte, von wo man die U-Bahn nehmen konnte, um dorthin zu gelangen, wohin man wirklich wollte. Nur mit viel Glück würde Lula etwas Hübsches zum Anziehen finden und rechtzeitig zurück sein, wenn Zeke von der Schule kam. Zeke konnte auf sich selbst aufpassen und würde seinem Vater nie verraten, dass Lula nicht da war, als er heimkam. Wahrscheinlich wäre es ihm ganz recht, seinen albanischen Wachhund mal für kurze Zeit los zu sein. Aber da zu sein, damit Zeke nicht in ein leeres Haus kam, war eines der wenigen Versprechen, die Mister Stanley ihr abgenommen hatte, und Lula war entschlossen, dieses Versprechen zu halten.
    Mit Dunia hatte New York Spaß gemacht, auf Einkaufsbummel für Sachen zu gehen, die sie sich

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