Luegen auf Albanisch
Alvo.
Als Lula und Alvo den Parkplatz überquerten, war sie geradezu in Hochstimmung. Alles kam ihr so natürlich, so mühelos vor, als wären Alvo und sie ein Paar, jung, verliebt, und würden noch die Freiheit des Umwerbens genießen, bevor sie die zwei Kinder bekamen und das Sandsteinhaus in Brooklyn kauften. Wo kam denn diese Phantasie her?
Die paar älteren Leute im Laden starrten Lula und Alvo an, als wären sie Berühmtheiten, die sie nicht recht unterzubringen wussten. Das flackernde Neonlicht und der Geruch nach saurer Milch waren wehmütige Erinnerungen an Tirana. Alvo schlenderte durch die Gänge, schaute sich die Dosen und Packungen an, aber auch die Wände und die Decke. Er sagte: »Wir sind im Baugewerbe. Das habe ich schon erwähnt, oder? Ich merke mir die baulichen Gegebenheiten.«
»Welche Art von Baugewerbe?«, fragte Lula.
»Nur Gewerbliches«, sagte Alvo. »Wohnungsbau verursacht bloß Kopfschmerzen. Zuerst wollen die Kunden Tapeten, dann sollen sie wieder runtergerissen werden. Geschäftsleute wissen, was sie wollen. Gänge, Kassen, Regale. Vor allem Kassen.«
Alvo schien zu wissen, wovon er sprach, und der Klang des Wortes – Gewerbliches – war ehrlich, arbeitsam, solide. Und die Waffe? Das hier war New Jersey. Man musste verrückt sein, wenn man im Baugewerbe tätig war und keine Waffe bei sich trug. Alvo nahm einen Karton Orangensaft und eine Packung Camel heraus. Also war es tatsächlich sein Kassenzettel, den Estrelia unter dem Kissen gefunden hatte. Lula bewahrte ihn in ihrem Schreibtisch auf. Alvos Schulter streifte die ihre, als sie – Ladies first – den Supermarkt verließen.
Doch als sie sich dem SUV näherten, spürte Lula, wie die Temperatur zwischen ihnen sank. Sie sagte etwas Lahmes – Test, Test – über das Wetter, doch Alvo antwortete nicht. Diesmal öffnete er die Tür an seiner Seite und ließ sie ihre selbst öffnen. Diesmal übernahm Kapuzenshirt das Steuer, und Ledermantel setzte sich neben ihn. Alvo blickte stirnrunzelnd ins Leere. Lula hatte keine Ahnung, was schiefgelaufen war oder was sie dagegen unternehmen konnte.
Der aggressive Fahrstil von Kapuzenshirt passte zu der neuen Stimmung im Lexus. Der Cursor auf dem GPS tanzte über den Bildschirm, und die weibliche Stimme jammerte flehentlich: »Neu konfigurieren, neu konfigurieren.«
Nach einer Weile sagte Alvo: »Mein Freund Spiro, der mit dem Stilettoabsatz im Schädel? Das ist der Grund, warum du keinen albanischen Liebhaber möchtest, kleine Schwester.«
Kleine Schwester. Alvos brüderlicher Rat in Liebesdingen brach ihr das Herz. Aber wie war sie nur auf den Gedanken gekommen, dass Alvo ihr Liebhaber werden wollte? Vielleicht verlor Lula ihre Reize. Willkommen im sechsundzwanzigsten Lebensjahr.
Lula sagte: »Ich bin mal mit einem Argentinier ausgegangen, Franco, und der war zehnmal verrückter und eifersüchtiger als der schlimmste albanische Scheißtyp.«
Alvo fragte: »Was hat er getan, dieser Franco? Womit hat er sich seine Kohle verdient?«
»Er war Künstler«, sagte Lula.
Alvo funkelte sie an. »Hab ich das richtig verstanden? Du hast mit einem Argentinier gebumst?«
»Nein«, log Lula. »Ich hab gesagt, ich bin mit ihm ausgegangen.« Erst hatte er ihr geraten, sich nicht mit Albanern einzulassen, und jetzt schien er bereit zu sein, einen Ehrenmord an ihr zu begehen, weil sie mit einem Argentinier ausgegangen war.
»Bin froh, das zu hören. Ausgegangen.« Mit einem Kopfnicken deutete Alvo zum Vordersitz. »Meine albanischen Gorillakumpel hier können sich furchtbar aufregen, wenn sie sehen, dass sich albanische Mädchen außerhalb der Gemeinschaft vergnügen.«
Lula sagte: »Viel Glück dabei, einem albanischen Mädchen zu sagen, was es zu tun hat.«
»Komisch«, sagte Alvo freudlos. »Wir sind da. Trautes Heim, Glück allein.« Wie war es Kapuzenshirt gelungen, all die neuen Straßen zu finden und bei ihrem Haus einzutreffen, ohne dass sie gemerkt hatte, wie nahe sie waren? Der SUV hielt mit einem Ruck an. Keiner sagte ein Wort. Keiner sprach davon, Lula erneut zu besuchen, und der Lexus brauste davon, bevor sie Mister Stanleys Haustür aufgeschlossen hatte.
5
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Die Tage vergingen, dann noch mehr Tage, ohne ein Zeichen von Alvo. Worauf konnte sich Lula freuen? Auf die College-Rundreise mit Zeke und seinem Dad? Zekes Umzug ins College versprach Befreiung, in gewisser Weise. Aber Mister Stanley würde einen Grund finden, Lula bei sich zu behalten. Er würde dafür zahlen,
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