Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)
glaubt ja nicht, wie viele glatzköpfige, alte, fette, schlecht verdienende und stinkende Männer sich herausnehmen, auf die Kontaktanzeige einer gebildeten, gut aussehenden und stilvollen Frau zu antworten!«
»Doch. Ich glaub’s dir unbesehen. E-kel-haft.« Leroy klatschte wieder in die Hände, diesmal vor Empörung.
»Und was noch schlimmer ist«, fuhr Herzchen unvermindert verbittert fort. »Jeder Einzelne dieser ungewaschenen, unterbelichteten und grottenhässlichen Typen glaubt, er könne noch was Besseres als unsereins finden!«
»Entschuldigen Sie, dass ich Sie wieder unterbreche«, sagte Birnbaum. »Aber handelt es sich hier um eine wahre Begebenheit oder um eine Art hypothetische Geschichte?«
»Nein, das ist wirklich passiert«, sagte Herzchen, den Blick in weite Ferne gerichtet. »Im letzten Jahr. Es war – widerlich. Demütigend und frustrierend.« Einen Augenblick lang schwieg sie, dann schien ihr wieder einzufallen, wo sie sich befand.
»Es ist einer Freundin von mir passiert«, sagte sie.
»Einer Freundin, ja, natürlich«, wiederholte Birnbaum. »Und wie ging die Geschichte Ihrer Freundin weiter?«
»Nun, nachdem sie sich mit mehr als dreißig Männern getroffen hatte, gab sie es auf«, sagte Herzchen, und wieder traten ihr die Tränen in die Augen, als sie ihre Stimme dramatisch senkte: »Sie gab alles auf, auch ihre Hoffnung, jemals eine eigene Familie zu besitzen.«
»Und dann hat sie sich von der Brücke gestürzt«, mutmaßte Carla pessimistisch.
»Schön wär’s«, murmelte Marianne.
Herzchen schüttelte den Kopf. »Nein, es war viel besser! Nachdem sie alle Hoffnung über Bord geworfen hatte, konnte sie die Welt endlich wieder mit anderen Augen sehen und sich sogar verlieben! Sie hat den Feinkosthändler geheiratet, bei dem sie schon seit Jahren einkaufte, und die beiden bekommen in sechs Monaten ein Kind.«
»Das ist ja schön«, sagte Carla erleichtert. »Sag mal, ist dein Mann nicht auch Feinkosthändler?«
»Und selbst wenn: Das ist nicht die Art Geschichte, die wir uns vorgestellt hatten«, sagte Birnbaum.
»Ich weiß sowieso nicht, ob meine Freundin gewollt hätte, dass ihre Geschichte in der Zeitung erzählt wird«, sagte Herzchen verschnupft. »Im Übrigen habe ich in der Elle oder der Cosmopolitan gelesen, dass E-Mail out ist und SMS in.«
»Wir setzen hier aber unsere eigenen Trends«, sagte Birnbaum. »Sie denken sich dann bitte was anderes aus, ja? Bis morgen.« Weil er sich schon dem Nächsten zugewandt hatte, konnte er Herzchens böse Blicke nicht mehr sehen.
Leroy begann sofort mit einer Lobeshymne auf seine sommerlichen Kleider und Blazer, und die Fliesner breitete mürrisch die dazu passenden Bilder vor Birnbaum aus. Sie waren auf Mallorca aufgenommen worden, exklusiv für Annika , lauter storchbeinige Models unter blühenden Mandelbäumen, mit kleinen Lämmchen im Arm, am Yachthafen oder an menschenleeren Sandstränden. Es war genau die Sorte Exklusivproduktion, die Birnbaum gestern als viel zu teuer und überkandidelt für ein kleines Blatt wie Annika bezeichnet hatte.
»Das sieht ja alles sehr edel aus«, meinte er jetzt sehr viel diplomatischer. »Aber es passt wohl eher in eine Hochglanzzeitschrift. Diese Klamotten sind ohnehin unbezahlbar für unsere Zielgruppe. Es bleibt dabei: Ab jetzt müssen wir hier viel Geld einsparen. Sehr viel Geld.«
Dass seine Fotostrecken Birnbaums Meinung nach in ein Hochglanzblatt gehörten, versöhnte Leroy mit der Vorstellung, von jetzt an sparen zu müssen. Er hatte immer gewusst, dass er viel zu gut für Annika war. Anstatt uns mit modischen Details zu quälen, wie er es sonst immer tat, brachte er ungefragt die Geschichte einer Freundin zu Gehör, die auch lauter fette, glatzköpfige und völlig inakzeptable Typen über das Internet kennen gelernt hatte, e-kel-haft. Bis sie sich in die kultivierten, sensiblen und aufgeschlossenen E-Mails eines Fremden verliebte, der ganz anders zu sein schien. Und siehe da, als sie ihn im wirklichen Leben traf, stellte sich heraus, dass er weder ein dummdreister Glatzkopf noch ein eingebildeter Fettsack war.
Er war eine Frau.
»So ein Mist«, entfuhr es Carla, aber Leroy rief »Gar nicht« und klatschte in die Hände. »Meine Freundin ist so glücklich mit dieser Frau geworden. In jeder Beziehung.«
»Sehr interessant.« Birnbaum runzelte die Stirn. »Ich denke aber, auch diese Geschichte eignet sich nicht ganz für unsere Zielgruppe.« Er wandte sich an Marianne. »Was ist mit
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