Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)
so eindeutig gegen seine vergötterte Keilash stellte. Aber wenn es um die Ausbildung von uns Kindern ging, dann vertrat er seine Meinung stets mit Nachdruck, und das, obwohl wir streng genommen ja gar nicht seine Kinder waren. Für meine Mutter, die selber ihr Kunststudium abgebrochen hatte, als Verena auf die Welt gekommen war, waren »beruflicher Werdegang«, »Rentenversicherung« und »solide Ausbildung« unanständige Ausdrücke, von denen sie nach eigenen Angaben Ausschlag bekam. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten wir wahrscheinlich nicht mal zur Schule gehen müssen. Aber für Jost war es ein großes Anliegen, dass wir alle das Abitur schafften und einen Beruf erlernten, und er hatte nie mit Nachhilfelehrern gegeizt.
Er war sehr stolz auf Verena, Toni und mich gewesen, als wir das Abiturzeugnis überreicht bekommen hatten, auf mich ganz besonders, weil ich den zweitbesten Durchschnitt der Schule erreicht hatte. Verena, die Älteste, war nach dem Abi und überstandener Magersucht als Au-pair nach Madrid gegangen. Zu dem geplanten Sprachenstudium danach war es nicht gekommen, weil sie in einem Madrider Straßencafé von einem Modelscout entdeckt und von einer Modelagentur unter Vertrag genommen worden war. Ein paar Jahre hatte sie ganz gut verdient, war um die ganze Welt gejettet und hatte einen Haufen interessanter Menschen kennen gelernt. Aber mittlerweile war Verena dreißig Jahre alt, und in letzter Zeit wurde sie nicht mehr so oft gebucht. Neusten Meldungen zufolge war sie nunmehr die Muse eines wenig erfolgreichen Fotografen, mit dem zusammen sie auf achtundzwanzig Quadratmetern in der Madrider Altstadt lebte.
Nur Mama fand das wirklich malerisch und romantisch.
»Genau das habe ich versucht zu verhindern«, hatte Jost gejammert. »Was soll denn nun aus ihr werden? Sie hat keinen vernünftigen Beruf gelernt und nichts auf die Seite gelegt.«
»Dafür hat sie aber gelebt«, war die Antwort meiner Mutter gewesen. »Das ist doch letzten Endes die einzig wahre Altersversorgung! Hauptsache, das Mädchen ist glücklich.«
Nun ja, das war eben die Frage. War Verena auf ihren achtundzwanzig Quadratmetern glücklich, und wenn nein, wäre sie mit einem abgeschlossenen Studiengang glücklicher?
Toni, meine andere Schwester, hatte es zumindest bis zum Vordiplom in BWL geschafft, als sie überraschend schwanger wurde. Und das, obwohl sie mit einer von unserer Mutter wärmstens empfohlenen Alternativpille verhütete, völlig hormonfrei, nach einem Rezept aus einer Zeit, in der die Frauen noch eins waren mit dem Universum. Bis auf diese Ausnahme war Toni aber durchaus zu logischem Denken befähigt. Als sie ihren Justus im achten Monat heiratete war sie noch der festen Ansicht gewesen, das Studium nach ein paar Monaten wieder aufnehmen zu können. Bis heute war nichts daraus geworden, denn nach Henriette war ja ziemlich schnell Finn gekommen, und dann, letztes Jahr Weihnachten, der kleine Leander. Nicht dass Toni nicht aus ihren Fehlern gelernt hätte: Die hormonfreie Pille hatte sie seit dem ersten Kind nicht mehr genommen. Aber auch kein anderes Verhütungsmittel, denn Mama hatte Stein und Bein geschworen, dass es unmöglich sei, schwanger zu werden, solange man noch stillt.
Jost hatte darauf gedrängt, dass Toni wenigstens finanziell abgesichert war, für den Fall, dass die Ehe scheiterte. Justus hatte wohlhabende Eltern, die ihm bereits vor der Eheschließung ein Reihenhaus zur Familiengründung geschenkt hatten. Zugewinngemeinschaft allein hatte unserem Stiefvater daher nicht genügt, er hatte höchstselbst auf einem Ehevertrag bestanden, den nur ein Idiot oder ein wirklich verliebter Mann unterschreiben konnte. Die Tatsache, dass Justus Knobloch der Dritte, Spross einer Familie mit Generationen namhafter Juristen, Richter, Staranwälte und Aufsichtsräte (daher auch der Vorname) diesen Vertrag unterschrieben hatte, zeigte, dass er’s mit Toni wirklich ernst meinte.
Meiner Mutter war die ganze Angelegenheit, einschließlich der Hochzeit in Weiß, entsetzlich peinlich gewesen. Wochenlang hatte sie nur Sätze wie »Liebe braucht doch keine Verträge« von sich gegeben, aber Jost war hart geblieben. Die Hoffnung auf ein abgeschlossenes Studium bei seinen Kindern konzentrierte sich danach ausschließlich auf mich und Philipp. Er war unendlich froh, als ich meinen Magister in Germanistik erwarb, und zwar in Rekordzeit nach nur acht Semestern. Über die Tatsache, dass ich mein Volontariat im
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