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Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)

Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)

Titel: Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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Fredemann-Verlag nicht nur begonnen, sondern auch zu Ende geführt hatte, geriet er dann nahezu in Euphorie. Und dass ich nun die jüngste aber nicht am schlechtesten bezahlte Redakteurin bei Annika war, erfüllte ihn mit ungeheurem Stolz. Bei mir endlich hatten alle seine Bemühungen, redliche Steuerzahler heranzuziehen, Früchte getragen.
    Meine Mutter hingegen fand meinen beruflichen Ehrgeiz eher bedenklich, ebenso wie die Tatsache, dass die sechsundzwanzig Jahre meines Leben ohne Drogenexzesse, ungewollte Schwangerschaften, kleinkriminelle Ausschweifungen, Zungenpiercings, Magersucht und religiösen Fanatismus verlaufen waren.
    »Na ja«, sagte sie manchmal, wenn sie mich betrachtete. »Eins ist eben immer dabei, das aus der Art schlägt.«
    Verena, Toni und ich haben alle drei denselben Vater, einen Althippie, der seit den frühen Achtzigern samt seiner Harley Davidson in Indien verschollen war. Ich hatte ihn das letzte Mal mit fünf Jahren gesehen, und das Einzige, an das ich mich erinnern konnte, waren die Zöpfe, die wir Mädchen in seinen langen, roten Bart hatten flechten dürfen. Er war selten anwesend, ein gemeinsames Zuhause gab es nicht. Wir lebten damals mit Mama abwechselnd bei unseren Großeltern und in WGs, vorzugsweise in besetzten Häusern, und unser Vater trug keinen Pfennig zu unserem Unterhalt und dem unserer Mutter bei.
    »Aber er hatte trotzdem eine tiefe spirituelle Verbindung zu euch Mädchen«, behauptete Mama gerne. »Er hat sich den Namen von jeder von euch in ein Herz auf seiner Brust eintätowieren lassen.«
    Toni und Verena fanden es immer wieder rührend, dass irgendwo auf der Welt ein alternder Hippie mit langen, roten Haaren herumlief, der unsere Namen auf seiner Brust trug, aber ich fand es einfach nur geschmacklos. Immerhin war es ein Anhaltspunkt, der es uns leicht machen würde, zu gegebener Zeit seine Leiche zu identifizieren.
    Als ich fünf war und mein Vater zu seiner bisher letzten großen Reise nach Indien angetreten war, lernte meine Mutter Jost Rübenstrunck kennen. Er war ihr Sachbearbeiter beim Finanzamt, und er half ihr, sich durch die Hürden des Gesetzesdschungels zu schlagen, nachdem meine Großeltern verstorben waren und uns Kindern das Häuschen im Grünen hinterlassen hatten. Mama lebte damals von Sozialhilfe und dem Geld, das sie mit selbst gefertigtem Silberschmuck verdiente, den sie ohne Verkaufslizenz in der Fußgängerzone anbot. Die anfallenden Erbschaftsteuern und die Frage, wo sie die hernehmen sollte, stellten sie vor ernsthafte Schwierigkeiten. Am liebsten hätte sie das Haus verkauft und wäre mit dem Geld und uns Kindern ins Ausland abgehauen, »irgendwohin, wo’s schön warm ist und eine gute Aura herrscht«.
    Aber Jost wusste das zu verhindern, indem er ganz altmodisch um Mamas Hand anhielt und ihr anbot, für sie und ihre drei Mädchen zu sorgen, bis dass der Tod sie scheide. Mama hatte sich zwar entsetzlich geziert – ausgerechnet sie sollte sich mit einem spießigen Beamten zusammentun und dann auch noch heiraten? –, aber am Ende hatte sie Ja gesagt, und sie hatte nie einen Grund gehabt, diese Entscheidung zu bereuen.
    Jost besaß ein Haus mit Garten, das uns im Vergleich zu den heruntergekommenen Wohnungen in den besetzten Häusern vorher wie das Paradies erschien. Für mich war es wunderbar, endlich einen richtigen Vater zu haben, und Jost gab sich wirklich alle Mühe mit uns. Er baute Schaukel und Sandkasten in den Garten und versorgte uns mit dem konventionellen Spielzeug, nach dem wir gierten, das unsere Mutter aber als »Plastikkonsumscheiße« ablehnte. Niemand war ein hingebungsvollerer Barbiepuppenrollenspielpartner als Jost. Ich ließ mich freudig und bedenkenlos von ihm adoptieren – (unser verschollener Vater hatte von ferne seine schriftliche Einwilligung dazu erteilt) –, und meine beiden Schwestern sträubten sich auch nur wegen des Nachnamens.
    Als Philipp sich zwei Jahre nach der Hochzeit ankündigte, plante Jost den Anbau, damit jeder von uns Kindern ein eigenes Zimmer hatte und unsere Mama ein Atelier für ihre Kunst. Künstlerin war Mamas offizielle Berufsbezeichnung, aber niemand außer Jost nahm Mama als Künstlerin ernst, weder Laie noch Fachmann. Sie gab Mal- und Töpferkurse an der Volkshochschule, bevorzugt Aktzeichnen, wo sie dann nicht nur als Lehrerin, sondern auch als Modell zur Verfügung stand. Es gab wohl kaum eine Tätowierung, die so oft auf dilettantischen Zeichnungen verewigt wurde wie die Sonne,

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