Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)
das Modell zarte Fee bist, weißt du ja selber«, sagte Vivi. »Aber ich finde, es steht dir. Irgendwie.«
»Hm, ja, danke«, sagte ich, legte auf und machte mir gedankenverloren eine Notiz in meinem Kalender. 7.00 Vivi telefonisch wecken.
Keine zarte Fee, hm? Fairy war also so ziemlich der unpassendste Name, den ich hätte wählen können. Wahrscheinlich hatte mein Unterbewusstsein ihn ausgesucht. »Es steht dir«, hatte Vivi gesagt, aber was genau meinte sie mit »es«- etwa mein »Übergewicht«?
Ich schielte kurz zu Marianne hinüber, aber sie war scheinbar ganz vertieft in ihre Arbeit, und ich war froh, dass ich nicht mehr mit ihr reden musste. Herzchen, die normalerweise hinter dem dritten Schreibtisch im Raum saß, war wegen unspezifischer Schwangerschaftsbeschwerden krank geschrieben. Wahrscheinlich Heulkrämpfe.
Mit dem Karton Schokoküsse schlenderte ich in Carlas Büro hinüber. Jetzt, wo Birnbaum das Haus verlassen hatte, würde sie Zeit zu einem kleinen Schwätzchen haben. Und ich brauchte ganz dringend jemandem zum Reden.
Auf dem Flur traf ich Leroy, den Ressortleiter Mode, der sichtlich aufgebracht war.
»Katalogmode!« Er klatschte in die Hände, als er mich sah. »Katalogmode! Der Mutierte will, dass wir eine Modestrecke nur mit Katalogmode machen! Kannst du dir das vorstellen, Hanna? Wer kauft Mode aus dem Katalog?«
»Na ja«, sagte ich. »Unsere Leserinnen vielleicht. Und ich auch, manchmal. Es gibt schöne Sachen, es ist praktisch. Und bezahlbar. Welche Annika -Leserin kann sich schon Prêt-à-Porter leisten?«
Entrüstetes Händeklatschen. »Du sprichst schon genau wie der Mutierte.« Der Mutierte war natürlich niemand anders als Birnbaum. Jeder hatte hier ein anderes Schimpfwort für ihn. »Aber hier geht es um meine Ehre!« Noch einmal Händeklatschen. »Katalogmode, das ist unwürdig! Billig! Peinlich! Als Nächstes will er dann von mir, dass ich eine Modestrecke für Übergrößen bringe!«
»Und wenn schon«, sagte ich. »Die durchschnittliche Annika -Leserin trägt sicher nicht Größe 36.«
»Ach, du verstehst mich nicht«, sagte Leroy und sah in einer Art und Weise an mit herab, die mir überhaupt nicht gefiel.
»Wir erörtern das ein anderes Mal, ja?« Ich rettete mich in Carlas Büro. Sie war gerade dabei, sich mit Hilfe eines Vergrößerungsspiegels die Augenbrauen zu zupfen.
»Kleine Stärkung gefällig?«, fragte ich und hielt ihr die Schachtel hin. Drei von neun Schokoküssen waren noch drin. Einen hatte Birnbaum gegessen, was bedeutete, dass ich die restlichen fünf selber auf dem Gewissen hatte. Nun ja, von nichts kam eben auch nichts.
»Weißt du eigentlich, wie viel Kalorien die Dinger haben?«, fragte Carla. »Na, gib schon her. Ich gehe ja heute Abend ins Fitnessstudio, und man gönnt sich ja sonst nichts.«
Ich setzte mich seufzend auf ihre Schreibtischkante.
»Was ist los, Rübe?«, fragte Carla und legte Handspiegel und Pinzette zurück in ihre Schreibtischschublade.
Ich wusste nicht so recht, wie ich anfangen sollte, also sagte ich das erstbeste, was mir einfiel: »Marianne sagt, dass ich einen dicken Hintern habe.«
»Diese blöde abgemagerte Zicke«, rief Carla solidarisch aus. »Ich hoffe, du hast gesagt: Lieber einen dicken Hintern als deinen vertrockneten Hängebusen.«
»Nein, hab ich nicht. Am liebsten hätte ich nämlich weder das eine noch das andere.« Ich muss wohl ein trauriges Gesicht gemacht haben, denn Carla legte mitfühlend ihre Hand auf meinen Arm.
»Was ist denn mit dir los? So kenne ich dich gar nicht.«
»Ich mich auch nicht«, gab ich zu. »Es ist nur so … Ich hab da jemanden kennen gelernt.«
»Was denn? Du? Wo denn? Und wann?«, schrie Carla, um gleich darauf besorgt hinzuzusetzen: »Wir reden doch von einem Mann, ja?«
»Ja. Ich hab ihn bei Recherchen im Internet kennen gelernt, im Testchat.«
»Du dachtest wohl, wenn deine Schwester dort jemanden kennen lernt, kannst du das auch, was?«
»Das mit meiner Schwester habe ich doch nur erfunden. Aber der hier ist echt: vierunddreißig Jahre alt, witzig und richtig nett. In unserem Partnerschaftstest haben wir dreihundertsiebenundneunzig von vierhundert möglichen Punkten erreicht. Das ist ein Rekord.«
»In der Tat«, rief Carla. »Dreihundertsiebenundneunzig! Das gibt’s doch gar nicht.«
»Doch, ich hab dreimal nachgerechnet«, sagte ich. Feierlich setzte ich hinzu: »Er heißt Boris.«
»Der Name ist akzeptabel«, meinte Carla, die Listen über Männernamen führte,
Weitere Kostenlose Bücher