Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)
weiß der Himmel, warum. »Von einem Karl-Heinz hätte ich dir spontan abgeraten, aber Boris ist in Ordnung. Wo wohnt er? Doch hoffentlich nicht an der polnischen Grenze oder an einem oberbayrischen See? Daraus könnten sich Komplikationen ergeben.«
»Er wohnt hier in der Stadt«, sagte ich.
»Bingo! Und wie sieht er aus?«, wollte Carla wissen.
»Keine Ahnung. Er will sich mit mir treffen. Am liebsten noch diese Woche. Nur – das kann ich einfach nicht tun …«
»Blödsinn! Hast du etwa Angst, er könne ein fetter Glatzkopf sein?«
»Nein. Das Problem ist weniger sein Aussehen als meins.«
»Da mach dir mal keine Sorgen«, sagte Carla. »Du siehst niedlich aus, Hanna, wirklich. Wie eine Puppe, mit deinen langen, roten Locken, den Sommersprossen, den Grübchen und den großen braunen Augen. Ich wette, dein Boris wird positiv überrascht sein, wenn er dich sieht.«
»Das glaube ich weniger«, sagte ich. »Er ist nämlich überzeugt, dass ich Größe 36 trage, und zwar am ganzen Körper. Ich kann mich nicht mit ihm treffen.«
»Aber warum sollte er so etwas glauben?«
»Weil ich es ihm gesagt habe. Das heißt, ich habe es in mein Persönlichkeitsprofil geschrieben. Kleidergröße 36, blond, blauäugig … – ich hab ja nicht geahnt, dass ich wirklich jemanden kennen lerne.«
»Das war dämlich von dir! Du kannst ihm aber immer noch die Wahrheit sagen.«
»Ja«, sagte ich unglücklich. »Das hätte ich vielleicht auch gemacht. Aber auf einmal gibt mir alle Welt das Gefühl, ein fettes Monster zu sein. Ich will nicht, dass Boris enttäuscht ist, wenn ich mich als Monster entpuppe.«
»Du bist kein Monster!«
»Aber fett.«
Carla schwieg einen Moment. »Nicht fett«, sagte sie dann. »Nur ein bisschen pummelig. Rundlich eben. Und es steht dir irgendwie, ja, du bist eben so ein XL-Typ.«
»Oje«, sagte ich am Boden zerstört.
»Komm schon, Hanna, du hast nie ein Wort darüber verloren, dass du dich zu dick findest.«
»Fand ich ja auch bisher nicht. Oder zumindest habe ich nicht darüber nachgedacht.«
»Okay«, sagte Carla und setzte sich aufrecht hin. »Gehen wir das Ganze doch mal ganz logisch durch. Punkt eins: Du hast einen Mann kennen gelernt, der zu neunundneunzig Prozent der richtige Partner für dich ist.«
»Jedenfalls laut Mariannes Test«, wandte ich ein.
»Egal, es ist auf jeden Fall eine Seltenheit«, sagte Carla. »Ich habe diesen Test weiß Gott mit allen Typen gemacht, die schreiben und lesen konnten, und keiner hat bei mir mehr Punkte bekommen als einhundert. Du musst diesen Boris unbedingt treffen. Er könnte dein Schicksal sein.«
»Ich weiß«, seufzte ich. »Aber ich trau mich nicht.«
»Damit kommen wir zu Punkt zwei«, sagte Carla. »Er glaubt, du bist blond, blauäugig und dünn.«
»Nein. Dass ich rothaarig bin, weiß er mittlerweile. Er hat’s eigentlich ganz gut aufgenommen.«
»Ich denke, Haar- und Augenfarbe sind auch nicht so wichtig«, meinte Carla. »Aber die Kleidergröße könnte tatsächlich ein Problem darstellen. Ich meine, sei mir nicht böse, aber da ist doch ein ziemlich großer Unterschied zwischen dir und Größe 36.«
Ich sah traurig an mir herab: »Jedenfalls an den meisten Stellen.«
»Wenn er wirklich dein Traummann ist, dann wird er dich natürlich so nehmen wie du bist«, sagte Carla, aber es klang nicht wirklich überzeugt.
»Was soll ich also tun? Ihm die Wahrheit schreiben? Lieber Boris, ich habe, was die Kleidergröße betrifft, ein wenig geflunkert. Tatsache ist, dass die Freundin meines Bruders Größe 36 trägt, und sie hat heute morgen gesagt, dass sie meine Kleider als Zelte benutzen könne …«
»Jetzt hör endlich auf, dich so niederzumachen«, sagte Carla. »Wenn du dich nicht traust, Boris die Wahrheit zu sagen, bleiben dir nur zwei Möglichkeiten.«
»Und die wären?«
»Nummer eins: Du vergisst den Typ, Schicksal hin, Schicksal her.«
»Und Nummer zwei?«
»Du nimmst ab.«
8. Kapitel
H anna will abnehmen«, sagte Carla feierlich. Sie hatte ein außerordentliches Treffen bei unserem Lieblingsitaliener einberufen, ausnahmsweise an einem Dienstagabend, und zwar ausschließlich, um Vivi und Sonja mitzuteilen, dass ich beschlossen hatte, ein paar Kleidergrößen abzuspecken.
Vivi und Sonja taten so, als hätten sie nie eine erfreulichere Nachricht gehört. Dabei ging es ihnen weniger um die Ursache meines Entschlusses – Carla hatte natürlich auch von Boris und den dreihundertsiebenundneunzig Punkten
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