Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)
erschreckend niedrig. Ich kann dir gleich sagen, das wird ein hartes Stück Arbeit, wenn wir deinen Körper in Form bringen wollen. Tja, wie ein Model wirst du wohl nie aussehen, aber für einen anderen Job wird es mit viel Disziplin und Ausdauer vielleicht langen.«
Er hatte den Bogen ja schon eine ganze Zeit lang überspannt, aber das war der Augenblick, in dem es »pling!« machte. Ich zog mir meine Schuhe und meinen Mantel wieder an.
»Wie lange wird es etwa dauern, bis …?«, fragte Carla. Sie hörte sich an, wie die Ehefrau eines todkranken Patienten, die mit dem behandelnden Arzt spricht.
»Bei diesen Maßen … – ein Jahr Minimum«, sagte Basti. »Wir haben es hier ja nicht nur mit den klassischen ernährungsbedingten Problemzonen zu tun, sondern ganz offensichtlich mit genetisch festgelegten Fettverteilungsproblemen. Das heißt auf gut deutsch, dass sie immer eine dicke Kiste behalten wird. Sorry, Hanna, aber ich nehme da nun mal kein Blatt vor den Mund. Als der liebe Gott die Fettmassen verteilt hat, hast du einfach ein bisschen zu laut hier geschrien.«
»Tja«, sagte ich. »Ich weiß auch nicht, wie ich es mit den Fettmassen mit meinen sechsundzwanzig Jahren auf ein abgeschlossenes Universitätsstudium, eine journalistische Ausbildung und vierzigtausend Euro im Jahr geschafft habe. Vielleicht ist deine Theorie ja doch noch nicht so ausgereift, Basti, und es gibt am Ende tatsächlich Jobs, für die man Gehirnmasse statt Fettmasse braucht. Aber wenn ich irgendwann doch mal arbeitslos werden sollte, kann ich ja immer noch abspecken und eine Traumkarriere wie du beginnen, in einem Fitnessstudio, wo ich dann Fettmassen vermessen und auch sonst nur Schwachsinn von mir geben darf.«
Basti glotzte blöd, wahrscheinlich hatte er nur die Hälfte von dem verstanden, was ich gesagt hatte. Wie gesagt, ein Problem der ungleichen Gehirnmassenverteilung. Ich drehte ihm recht schwungvoll die Kehrseite meiner 112-Zentimeter-Hüfte zu und ließ die Folterkammer sowie das ganze verdammte Fitnessstudio im Laufschritt hinter mir zurück.
Carla hatte Mühe, mich wieder einzuholen. Erst auf dem Parkplatz griff sie nach meinem Ärmel.
»Versuch gar nicht erst, mich zu überreden«, sagte ich warnend. »Ich werde von mir aus weiter joggen, aber in dieses Scheißstudio setze ich keinen Fuß mehr!«
»Schon gut«, sagte Carla. »Hey, verdienst du wirklich vierzigtausend Euro im Jahr?«
Ich warf meinen Kopf in den Nacken. »Noch nicht. Aber lange wird es nicht mehr dauern. Ich habe jetzt schon knapp fünfunddreißigtausend. Von solchen Gehältern kann dieses erbärmliche Würmchen da drinnen nur träumen.«
»Nein, aber ich«, seufzte Carla. Sie hakte sich bei mir ein. »Ich weiß, dass du das jetzt nicht gerne hörst, Rübe, aber diesem erbärmlichen Würmchen da drinnen gehört das Studio. Und drei andere in dieser Stadt.«
Nun, das schmälerte meinen wortgewaltigen Auftritt natürlich etwas.
»Trotzdem«, sagte ich. »Ich bleibe dabei: Dein Basti hat mehr Ohrenschmalz als Gehirnmasse in seinem Kopf! Und mit so einem würdest du sogar ins Bett gehen! Pfui! Was ist das für eine grässliche Weltanschauung, in der die Menschen auf ihr Äußeres reduziert werden? Ich hab’s satt, wie ein Außerirdischer behandelt zu werden, nur weil meine verdammten Fettmassen nicht normgerecht verteilt sind. Überhaupt: Bis vor ein paar Wochen hat das noch niemanden interessiert.«
»Ja, weil es dir selber auch egal war«, sagte Carla. »Du warst die einzige Frau in meinem Bekanntenkreis, die niemals eine Diät gemacht oder sich über ihre Figur beschwert hat. Nie hast du so typische Frauensätze gesagt wie: Kann ich das tragen bei meinem Hintern? Oder: Findest du nicht, dass ich darin dick aussehe? Das war – ein Phänomen. Mir hat man schon mit vierzehn eingeredet, dass ich zu dick sei, und dabei war ich damals ein spilleriges Ding von achtundvierzig Kilo. Mit achtzehn hatte ich einen Freund, der mich Pummelchen genannt hat, ich habe monatelang nur von Äpfeln gelebt und fand mich ekelhaft fett. Jede Frau, die ich kenne, hat Probleme mit ihrer Figur. Ganz gleich wie schlank sie auch sein mag, irgendjemand in ihrem Leben hat sie zu irgendeinem Zeitpunkt für zu dick befunden und damit den Grundstein zu dauerhaften Selbstzweifeln und einer nie endenden Diätkarriere gelegt. Du warst immer die große Ausnahme. Du hast dich so gemocht, wie du warst.«
»Sag ich doch!«, rief ich aus. »Es ist alles eine Frage der eigenen
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