Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)
ihnen. Ich kaufte mir eine Jeans in Größe 42, ohne Stretchanteil, und schleppte sie voller Stolz nach Hause, um sie dort in Ruhe anzuprobieren. Aber obwohl ich mich flach auf mein Bett legte, bekam ich den Reißverschluss nicht zu. Keine Chance. So viel zum Thema ›dein Umfang reduziert sich trotzdem‹. Aber ich resignierte nicht, sondern hängte das Teil in meinen Kleiderschrank, um es bei gegebener Gelegenheit herauszunehmen und erneut anzuprobieren.
Den ganzen Tag lang, egal wo ich war und was ich gerade tat, beschäftigte ich mich mit Essen: mit dem (wenigen), das ich essen durfte, mit dem, das ich nicht essen durfte und mit dem, was ich alles essen würde, wenn ich endlich, endlich schlank wäre. Aber dann geschah etwas, dass mich das Essen eine Zeit lang vergessen ließ.
Ich hätte auf meinen Instinkt hören und Helena sofort aus dem Haus schmeißen sollen. Stattdessen hatte ich mich von meiner Mutter bequatschen und von meinen eigenen Angelegenheiten ablenken lassen. Mein Versäumnis führte, wie so oft, geradewegs in einen Eklat.
Jost hatte ja bereits den begründeten Verdacht gehegt, Philipp und Helena würden Hasch konsumieren, aber Mama, die selber ab und an ein Pfeifchen rauchte, war der Ansicht, mit verständnisvollem Wohlwollen könne man diesen jugendlich-unschuldigen Experimenten am besten begegnen. Offensichtlich hatte Philipp so viel Verständnis und Wohlwollen als Ermutigung empfunden, auch mal ein paar von den Pillen auszuprobieren, die Helena von ihren Freunden aus der Fabrikhalle bezog. Und das führte zu einem Experiment, das alles andere als jugendlich-unschuldig war.
Es war entsetzlich.
Am Freitagabend zog ich nach dem abendlichen Joggen und dem Wechselduschen noch eine erfreuliche Wochenbilanz: Lauter Sonnen im Kalender, nur eine Wolke für besagten Fitnessstudio-Besuch und eine für die Tatsache, dass die Waage sich nicht abwärtsbewegt hatte. Mit Annika Fredemanns Einladung zur Geburtstagsfeier ihres Vaters hatte ich mich inzwischen, nicht zuletzt dank meiner Freundinnen, positiv arrangiert. Sonja, Vivi und Carla waren nämlich einhellig der Meinung, dass es ein riesengroßes Kompliment sei, als Tischdame für den Fredemannschen Cousin angeheuert zu werden, auch wenn er, was keiner der drei glaubte, tatsächlich warzig wäre und Mundgeruch hätte.
»Allein wegen der ganzen Promis lohnt es sich hinzugehen«, sagte Carla. »Jeder zweite Gast ist entweder aus Funk und Fernsehen bekannt oder stinkreich oder beides.«
»Und dann das Essen«, sagte Vivi. »Sie werden die Hummer bis unter die Decke gestapelt haben, und Champagner nur vom Feinsten … – und Hummer und Champagner werden wir dir für diesen einen Abend erlauben, nicht wahr, Mädels?«
Sogar die Angst vor dem kleinen Schwarzen nahmen sie mir, indem sie beteuerten, dass genau die Sorte Kleid, die ich benötigen würde, im Augenblick modern und daher in jeder Boutique und jeder Preisklasse zu kaufen sei.
»Knielang, tief ausgeschnitten und dazwischen wallt und fließt der Stoff im Lagenlook«, sagte Carla. »Das wird dir hervorragend stehen, und du bekommst es in jedem Laden hinterhergeworfen.«
Alles in allem war es eine friedliche Woche gewesen.
Boris und ich hatten einander lustige E-Mails geschrieben, in der Redaktion hatte es keine besonderen Vorkommnisse gegeben, ich war noch zweimal mit Birnbaum und Jakob in und durch den Park gejoggt, Vivi hatte die ganze Woche in ihrer neuen Firma ausgeharrt, und Toni hatte bei meinen letzten Besuchen weder mit den Kindern herumgebrüllt noch geheult.
Die Klippe mit dem Hausverbot im Supermarkt hatten wir geschickt umschifft, indem wir den kostenlosen Lieferservice in Anspruch nahmen. Er war zwar eigentlich für kranke, alte oder behinderte Menschen gedacht, aber ich fand, dass Toni im weitesten Sinne zu dieser Personengruppe gezählt werden konnte. Der Einkauf, wenn man es denn noch so nennen mochte, ging so weit stressfreier und zeitsparender über die Bühne. Einmal am Tag klingelte ein netter Lehrjunge vom Supermarkt an der Tür und brachte eine Kiste mit allem, was Toni telefonisch oder per Fax angefordert hatte. Der Filialleiter wäre wahrscheinlich vor Wut geplatzt, wenn er gewusst hätte, welche Vorteile sein Hausverbot brachte.
Ich hatte den Kindern wider besseres Wissen einen neuen Hamster besorgt, und obwohl ich dem Tier gegenüber ein schlechtes Gewissen hatte, gaben mir die strahlenden Gesichter das Gefühl, das Richtige getan zu haben.
»Wie einfach es doch
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