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Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)

Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)

Titel: Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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ist nur mit meinem Mutterinstinkt los? Wer weiß, was passiert wäre, wenn Hanna nicht rechtzeitig eingeschritten wäre.«
    »Ich glaube nicht, dass sie Philipp etwas angetan hätte«, sagte Jost. »Aber das kann man nie wissen. Sie ist ernsthaft krank.«
    Was Philipp dazu sagte, wusste ich nicht, und es interessierte mich auch nicht. Er blieb in seinem Zimmer, und ich machte keinerlei Anstalten, ihn dort zu besuchen. Meine Mutter, Jost und auch meine Schwester, die nach der Katastrophenmeldung sofort herbeigeeilt war, hingen dagegen den ganzen Tag an seinem Bett herum und redeten unablässig auf ihn ein. Wieder nüchtern hatte er keineswegs vergessen, was passiert war, aber er konnte sich nicht erinnern, wie es dazu gekommen war. Auch welcher Art die Pillen waren, die er geschluckt hatte, wusste er nicht. Aber er versprach unter Tränen, niemals wieder etwas Drogenähnliches zu sich zu nehmen, und aus irgendeinem Grund glaubten ihm alle.
    »Er will so gerne mit dir sprechen, Hanna«, sagte meine Mutter.
    »Ich aber nicht mit ihm«, erwiderte ich. Zu widerlich war der Anblick gewesen, den er gestern Nacht geboten hatte. »Und was soll das überhaupt? Warum verkriecht er sich in seinem Zimmer wie ein ungezogenes Kind?«
    »Er schämt sich«, sagte meine Mutter, und ich sagte: »Da hat er auch allen Grund zu. Und nicht nur er.«
    Meine Mutter machte ein zerknirschtes Gesicht. »Ich weiß. Ich war nie ein gutes Vorbild für euch Kinder.«
    »Das bist du immer noch nicht«, sagte ich und ließ sie einfach stehen.
    »Wie geht es dir?«, erkundigte sich Toni etwas später.
    »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Zum ersten Mal im Leben wünsche ich mir eine andere Familie. Diese hier ist einfach zu durchgeknallt.«
    »Helena gehört nicht zu unserer Familie«, sagte Toni ruhig. »Sie ist nur eine arme Irre, die zufällig ein paar Wochen hier gewohnt hat.«
    »Nein«, sagte ich. »Das ist eben kein Zufall! Mama und Philipp wollten, dass sie hier wohnt. Du hast das gestern Nacht nicht gesehen, Toni, aber ich fühle mich seitdem so – beschmutzt. Verstehst du, das war nicht eine dieser Katastrophen im Leben, denen man irgendwann mal eine komische Seite abgewinnen kann. Nichts, das in einer meiner Kolumnen stehen könnte. Es ist nicht mal so ein Erlebnis, vom dem man später mal sagt: Es war furchtbar, aber es hat mich stark gemacht. Ich weiß, dass Helena krank ist, und damit hat sie wahrscheinlich eine wirklich gute Entschuldigung dafür, dass sie ihre Ratte geschlachtet hat, aber Philipp ist nicht krank, und er hat dabei mitgemacht.«
    »Unter Drogen tun die Menschen die seltsamsten Dinge«, sagte Toni.
    »Möglich«, sagte ich. »Aber wenn ich daran denke, was die beiden getan haben, dann wird mir ganz übel. Tut mir Leid, Toni, aber heute bin ich ganz sicher nicht der richtige Babysitter für deine Kinder.«
    Toni nickte, als habe sie nichts anderes erwartet. »Das macht ja nichts. Vielleicht ein anderes Mal.«
    »Hm, ja«, sagte ich geistesabwesend.
    Später ging ich hinaus in den Garten. Jost hatte alle Spuren der nächtlichen Szene im Buchsbaumrondell beseitigt. Die Narzissen allerdings hatte er nicht mehr retten können.
    »Im Sommer sieht man nichts mehr davon«, sagte er zu mir.
    »Ich werde trotzdem immer daran denken«, sagte ich. »Ach Jost, ich will nicht mal mehr hier wohnen.«
    Jost nahm mich in seine Arme. »Ich am liebsten auch nicht«, sagte er.

15. Kapitel
     
    N ach der Nacht, in der Helena unser Narzissenbeet ruiniert hatte, war auf einmal nichts mehr wie vorher. Es war, als hätte ihr armseliges Ritual alle Lebensfreude in mir ausgelöscht. Nichts machte mir mehr Spaß, und nichts war mehr wichtig. Meinen Bruder wollte ich nicht mehr sehen, Vivis Gejammer über ihren Job ging mir nur noch auf die Nerven, ebenso wie Tonis Gejammer über ihr schlaffreies Familienleben. Sonja und Carla nervten mit ihren Diättipps, und schon der bloße Anblick meiner Mutter verursachte mir Magenkrämpfe.
    Nicht mal Boris interessierte mich noch. Unsere Bekanntschaft kam mir auf einmal nur noch lächerlich und verlogen vor. Etwas, das mit so vielen Lügen begonnen hatte, konnte unmöglich gut enden. Ich zog es vor, auf seine E-Mails nicht mehr zu antworten.
    Die Woche kroch dahin, und ich konzentrierte mich so gut es ging auf meine Arbeit. Aber auch hier war ich nicht wie sonst mit dem Herzen dabei. Seit Tagen hatte ich keine gute Kolumne mehr geschrieben. Es war, als habe das Leben plötzlich alle komischen Seiten

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