Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)
sagte Toni. »Ihm gehört der Supermarkt ja nicht, und Hauptsache, er kann mir eins reinwürgen. Ich hätte gute Lust, ihm heute Abend noch einen Besuch abzustatten und ihm mal so richtig meine Meinung zu sagen. Es würde mir guttun, meine Faust mitten in seiner widerwärtigen, arroganten Visage landen zu lassen …«
»Ja, ja«, sagte ich. »Es gibt aber auch immer noch die Möglichkeit, in einem anderen Laden einzukaufen. Glücklicherweise gibt es in dieser Stadt ja nicht nur den einen Supermarkt.«
»Ich dachte, du könntest vielleicht …?«, sagte Toni.
»Nee, tut mir Leid. Ich habe keine Zeit. Ich muss heute lange arbeiten, und danach treffe ich mich mit meinen Mädels, wie immer freitags. Frag Mama.«
»Die läßt Philipp doch keine Minute allein.«
»Und was ist mit deinem Mann?«
»Der ist bis Sonntagabend auf Fortbildung«, sagte Toni. »Schon seit vorgestern. Ich bin wieder mal ein Wochenende allein. Na ja, allein bin ich ja leider nicht, die Kinder sind ja auch noch da.«
»Merkwürdig, wie oft Justus auf Fortbildung ist«, sagte ich. »So viel wird sich doch an diesem Paragraphenmist nicht ständig ändern, oder? Vielleicht hat er ja eine Geliebte, hm?«
»Möglicherweise«, sagte Toni. »Hoffentlich mag sie Kinder und nimmt sie mir ab und an mal ab. Nur eine Nacht würde mir vorerst reichen. Einmal zwölf Stunden am Stück schlafen. Heute Nacht habe ich so gut wie gar nicht geschlafen. Der Dings, äh, das Baby …«
»Leander.«
»Genau, Leander hat Durchfall, und alles, was ich oben einfülle, kommt unten wieder raus. Und Finn hat Albträume von den Teletubbies, und Henriette …«
»Hör mal, Toni, da kommt mein Chef«, zischte ich, obwohl von Birnbaum weit und breit nichts zu sehen war. »Ich muss Schluss machen, mein Artikel ist noch nicht fertig und in zwei Stunden ist Redaktionsschluss …«
»Owei«, hörte ich Toni noch erschreckt sagen, aber dann hatte ich auch schon aufgelegt. Ohne Schuldgefühle. Davon, dass sie mir ständig die Ohren volljammerte, wurde es für Toni auch nicht besser.
Ich schrieb meinen Artikel fertig und legte ihn unserer Textchefin nebenan auf den Schreibtisch. Sie selber war nicht im Büro, aber weitweg konnte sie auch nicht sein, denn Paule lag in seinem Körbchen und keuchte asthmatisch. Sein Anblick erinnerte mich – warum auch immer – an Jakob, den ich nun schon eine Woche nicht mehr gesehen hatte, weil ich mir mit der Diät auch das Joggen an den Hut gesteckt hatte. Es war komisch, aber obwohl ich mich nicht mehr an die Diätvorschriften hielt, war mein Gewicht bisher noch jeden Tag dasselbe geblieben, plus-minus zweihundert Gramm, wie gehabt. Wen wunderte es da, dass ich nicht die geringste Reue empfand? Aber das tägliche Joggen fehlte mir nun allmählich doch.
Vielleicht sollte ich mich ja heute noch einmal dazu aufraffen. Dafür musste ich mich ja nicht mit Vivi, Sonja und Carla treffen, deren Geschwätz über Cellulite, Kalorien und doofe Chefs ging mir sowieso ungeheuer auf die Nerven. Ich ging also zu Carla und sagte, ich habe meine Tage bekommen und schreckliche Bauchschmerzen.
»Sie Ärmste«, sagte Birnbaum, der im gleichen Augenblick aus seinem Büro trat. »Wieso sind Sie denn dann nicht früher gegangen?«
»Tja, das nennt man wohl übertriebenes Pflichtgefühl«, sagte ich. So ein Mist! Wenn Birnbaum mich krank wähnte, konnte ich heute Abend schlecht joggen gehen, zu groß war die Wahrscheinlichkeit, dass ich ihm und Jakob dabei über den Weg liefe. Na, auch egal, dann würde ich mich eben mit einer Familienpackung Karamelleis vor den Fernseher setzen und mich selbst bemitleiden. Was mein Bruder konnte, konnte ich schon lange.
Carla war voller Mitgefühl. Sie gab mir drei von ihren verschreibungspflichtigen Schmerztablettten mit und empfahl mir, Frauenmanteltee zu trinken, damit ich morgen nur ja wieder auf dem Damm wäre.
»Ich ruf dich dann am Nachmittag an, dann können wir uns gegenseitig noch ein paar Tipps geben«, sagte sie mit einem verschwörerischen Augenklimpern.
»Wofür denn Tipps?«, fragte Birnbaum.
»Ach, nur was man tun, damit man sich mit Warzen und Mundgeruch arrangiert, vorausgesetzt, der Typ verdient genug«, sagte ich.
»Sie sollten sich wirklich ins Bett legen, Johanna.« Aus Birnbaums Blick sprach so viel ehrliche Sorge, dass ich ihm nicht standhalten konnte, sondern auf seine Füße sah. Und was soll ich Ihnen sagen? Er hatte tatsächlich wieder zwei verschiedene Socken an, einen mit hellgrauen
Weitere Kostenlose Bücher