Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)
zahlt heute noch Unmengen an Unterhalt«, sagte ich. »Alex, vertrau mir, sie ist eine Anakonda. Frag Carla.«
»Okay«, sagte Alex. »Du hast gewonnen. Ich frage also deine Freundin Carla. Aber wenn sie diesmal wieder mit dem Typ am Nachbartisch flirtet, stehe ich auf und gehe.«
Einigermaßen erleichtert stolperte ich aus der Sauna, auch wenn ich es mir mit Marianne nun auf immer verscherzt hatte.
Claire bestand darauf, dass ich das Handy für den Rest der Behandlung ausgeschaltet ließ.
»Wir wollen doch, dass Sie sich hier entspannen«, sagte sie. »Nichts ist der Cellulite förderlicher als Stress.«
Das Trampolin, der Ergometer, die Sauna, das Eisbett und die ständige Ein- und Auswickelei entspannten mich zwar nicht, aber sie erschöpften mich zunehmend, so dass ich am Ende in Unmengen von weißen Handtüchern gewickelt auf der Magnetmatte einschlief.
Als ich wieder zu mir kam, vermaß Claire mich erneut. Und siehe da, diesmal hatten meine Oberschenkel nur noch einen Umfang von zweiundfünfzig Zentimetern. Und meine Hüfte war gar auf hundertvier Zentimeter geschrumpft. Wenn das nicht sensationell war! Claire jedenfalls war vor Freude und Überraschung ganz aus dem Häuschen.
»Sieben Zentimeter weniger«, rief sie. »Ich bin sicher, das wird Ihre Leserinnen ebenso verblüffen wie Sie!«
»Ja, ganz bestimmt«, sagte ich. Und wie verblüfft würde erst mal Claire sein, wenn sie lesen würde, dass ich mich vor diesem Termin höchstselbst vermessen hatte, und dass meine Messergebnisse sich von ihren ersten doch ziemlich unterschieden hatten.
Noch aber ahnte sie nichts davon, und wir schieden in freundschaftlichster Stimmung.
»Empfehlen Sie uns weiter«, sagte Claire, und ich sagte: »Aber sicher doch«, ganz wie eine verlogene Schlange.
Zurück in der Stadt beschloss ich, das abendliche Joggen noch einmal ausfallen zu lassen und mir stattdessen eine große Portion Pommes mit Mayonnaise von der Imbissbude zu gönnen. Ich fand, dass ich mir das redlich verdient hatte. Außerdem kaute ich jeden Bissen dreißigmal.
Als ich schließlich zu Hause ankam und leise durch den Flur schlich, stieg mir der Geruch der Räucherstäbchen, die Mama hier täglich abbrannte, um die Atmosphäre zu reinigen, in die Nase. Sie gab sich wirklich alle Mühe, Helenas Spuren auf ihre Weise zu beseitigen: Sie brannte Räucherstäbchen ab, stellte überall Rosenquarze und Bergkristalle auf, beleuchtete die Räume mit Salzkristalllampen, und wahrscheinlich hatte sie auch Weihwasser in alle Ecken gesprengt. Aber das half nun alles nichts mehr. Die Atmosphäre war hoffnungslos vergiftet, und zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich nicht dazu berufen, die Harmonie wieder herzustellen. Dass es in der Ehe zwischen Mama und Jost zum ersten Mal in zwanzig Jahren kriselte, ließ mich weitgehend kalt. Und dass Philipp seit dem Ereignis am letzten Freitag voller Selbstmitleid und Reue in seinem Zimmer hockte und sich von Mama rundherum versorgen und bedauern ließ, machte mich nur wütend.
Ich hatte es satt, das reinigende Räucherstäbchen der Familie zu sein, immer schlichtend, immer alle Probleme lösend, die dicke, patente Hanna – damit war jetzt Schluss. Mit meiner Mutter hatte ich all die Tage nur das Nötigste gesprochen, und mit Philipp gar nichts. Seine Zimmertür stand offen, als ich vorbeischleichen wollte, und ich warf einen widerwilligen Blick hinein. Das war ein Fehler, denn man schien nur darauf gewartet zu haben: Vom Bett aus sahen meine Mutter und mein Bruder mich mit großen, traurigen Augen an.
Aus irgendeinem Grund platzte mir der Kragen.
»Wieder einen erbaulichen Tag im Bett verbracht, Philipp? Hast du es geschafft, dich mit Mamas Hilfe aufs Klo zu schleppen? Und dürfen wir dich loben, weil du dir die Zähne geputzt hast? Aber – oh! Was sehe ich da? Du hast dich tatsächlich überwunden und ein Stückchen Schokolade in dich hineingezwängt. Wie wunderbar! Mama ist bestimmt schrecklich stolz auf dich.«
Philipps Blick wurde, wenn möglich, noch trauriger, und meine Mutter streckte mir in einer dramatischen Geste die Hände entgegen.
»Hanna«, sagte sie. »Nun warte doch …«, aber ich war schon weitergegangen und hatte meine Zimmertür hinter mir zugeknallt.
An meinem Schreibtisch saß Jost vor meinem Computer. Ab und an surfte er von hier aus im Internet. Er hatte selbst keinen Computer, weil »diese Teufelsapparate« laut Mama das Raumklima mit ihren Strahlen belasteten. Haha, welch ein
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