Lügen haben rote Haare
erklärt, dass Frau Schneider, sprich Vivi, nicht mehr kommen werde.
Frau Schneiders Talente lägen auf einem anderen Gebiet. Ein Schreibtisch aus Holz wäre nicht das Richtige für sie.
Als wenn mich das interessiert. Gelangweilt gähne ich, betrachte dabei die linke und rechte Zimmerecke der Zimmerdecke. Heiner und seine Jungs haben sehr ordentlich gearbeitet! Gelernt ist gelernt, würde Opa Heini sagen.
»Bert und ich sind ab heute Abend im Allgäu. Was unternimmst du am Wochenende?«
»Ich unternehme üüüberhaupt nichts am Wochenende, da bin ich krank. Grippe.«
»Du weißt schon heute, dass du morgen krank sein wirst?«
»Sicher, so etwas merke ich immer einen Tag eher, bevor das Elend anfängt. Es kratzt im Hals, Kopfschmerzen. Halt die typischen Symptome.«
Er steht langsam auf und nimmt mein Gesicht in seine Hände. Behutsam küsst er abwechselnd meine Ohrläppchen, Stirn, Wangen, Kinn und letztendlich meine Lippen. Ich lasse ihn kurz gewähren, dann befreie ich mich geschickt, indem ich mit dem Sessel nach hinten rücke.
»Arme Frau van Goch! Schade, ich wollte dich eigentlich fragen, ob du nicht Lust hättest, Bert und mich zu begleiten.«
»Frag erst gar nicht. Ich hasse die Berge. Ich leide unter Höhenangst, ich steige noch nicht einmal auf einen Maulwurfshügel.«
Meine Wangen glühen, meine Haut kribbelt an den Stellen, die Paul mit seinen Lippen berührt hat. Ich entschuldige mich hastig und sprinte an einer verdutzt schauenden Bruni vorbei Richtung WC. Obwohl die Küsse keine sichtbaren Spuren hinterlassen haben, rubbele ich mit einem nassen Papiertuch über mein Gesicht, als ob ich sie damit wegwischen könnte.
Ich bin so irritiert, dass ich Bruni erst zehn Minuten später Bericht erstatte. »Die Schneider kommt nicht mehr. Geigenpaul meint, sie hätte auf einem anderen Gebiet mehr Talente als am Schreibtisch. Verstehst du diese kryptische Botschaft?«
»Vielleicht meint er ›Feuchtgebiete‹?« Sie gackert albern.
Ich habe das Buch von Charlotte Roche gelesen; ich will nicht darüber nachdenken, nein, auf gar keinen Fall!
Brunis Fingernägel klappern wie besessen auf der Tastatur.
»Er hat gefragt, ob ich gemeinsam mit ihm und Schwulibert das Wochenende verbringen möchte. Im Allgäu.«
Sie hält kurz inne, dann fliegen ihre Finger weiter.
»Ich blicke nicht mehr durch, Karo! Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Erstens, er genießt es, dich zu foppen, oder zweitens, er möchte dich von den Vorteilen einer Dreierbeziehung überzeugen. Frischer Wind im Bett, verstehst du?«
Mir gefällt keine ihrer Spekulationen. Jetzt bin ich wirklich reif für die Insel. Entnervt fahre ich den PC hoch und haue, ebenfalls geschäftig, auf die Tastatur. Der ›Allgäu-Spezi‹ unterschreibt gegen Mittag diverse Briefe, die Bruni ihm in einer Mappe auf den Schreibtisch legt. Der Feierabend naht mit Riesenschritten.
Bei der Verabschiedung wünscht Geigenpaul mir sarkastisch »Gute Besserung«, im Anschluss läuten die Wochenendglocken Sturm.
Bevor ich mich mit Reisetasche und Co. zu dem Treffpunkt begebe, bringe ich Gisela zu meinen Eltern. Dort wird sie wie immer gut versorgt werden. Ich muss meinen Eltern beibringen, Paul nichts von meinem Fehmarn-Trip zu erzählen, was nicht einfach sein wird. Kaum im Wintergarten, entschließe ich mich für die Hauruck-Methode.
»… Paul hat mich zwar gefragt, ob ich mit ins Allgäu fahre, aber ich habe ihm erklärt, dass ich krank sei. Mama, es ist mir so peinlich, dass ich unter dieser Höhenangst leide. Paul wäre echt enttäuscht von mir, wo er doch so gerne die Berge raufsteigt und Gleitschirm fliegt. In echt bin ich aber nicht krank, sondern fahre mit Bruni nach Fehmarn. Da ist es schön flach, und mir wird nicht schwindelig.« Machungwa und die anderen verschweige ich natürlich.
Meine Mutter windet sich wie ein Aal, sie druckst herum. »Ach Karo, sag Paul besser die Wahrheit. Diese Lügerei gefällt mir nicht.«
»Ihr müsst doch nicht lügen . Ihr dürft es nur nicht erzählen! Paul ahnt doch nicht, dass ich nicht krank bin.«
Stur wie eine Eselin schüttelt sie den Kopf und sendet meinem Vater einen Hilfe suchenden Blick. Er schüttelt ebenfalls entschieden mit dem Haupt.
Opa Heini verschränkt die Arme. »Tja, dann kann Karo sich die Verlobung wohl von der Backe putzen.« Er zeigt meinen Eltern einen Vogel. »Karo darf diese Schwäche doch nicht vor der Ehe preisgeben. Der hat schneller eine andere, als ihr denken könnt.«
Ich verziehe
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