Lügen haben rote Haare
Prachtexemplar von Fisch vor uns auf den weiß lackierten Brettern zappelt und nach Luft schnappt, fängt Simone an zu weinen. Sie besteht darauf, dass der Fisch zurück in die Ostsee muss. Heiners gefangener Fisch dürfe ebenfalls nicht gegessen werden. Die beiden Dorsche seien bestimmt ein Paar. Und weil Willi ein liebevoller Mann ist, lässt er das Fisch-Ehepaar sanft zurück ins Wasser gleiten.
Statt Fisch grillen wir Steaks aus dem Supermarkt; nach dem Essen ankern wir und dösen auf einer leicht dümpelnden Yacht vor uns hin. So verbringen wir den Tag zwischen der sprichwörtlichen dolce far niente, schwimmen, essen und herumalbern. Erst am späten Abend laufen wir den Hafen in Burgtiefe an.
Nach diesem Samstag fühle ich mich so erholt, als läge eine Woche Urlaub hinter mir. Kein Verbiegen, was Geigenpaul anbelangt, kein Flunkern im Elternhaus. Null Conny, die permanent mit Knüppeln wirft. Bei den Menschen, mit denen ich jetzt zusammen bin, muss ich mich nicht verstellen.
Der Wind hat ordentlich aufgefrischt; warm eingemummelt liegen wir auf den Campingliegen und starren in den klaren Sternenhimmel. Simone klimpert leise auf der Gitarre; sie spielt gar nicht so schlecht, wie ich dachte. Es fehlt lediglich das Lagerfeuer, dann wäre die Klassenfahrtstimmung perfekt.
32. Finger weg von meinem Spielzeug
Am Sonntagmorgen brechen wir nach dem Frühstück die Zelte ab; sorgsam verstaut Heiner die Ausrüstung in dem geräumigen Wagen. Gegen Abend wollen wir vom Hafen aus die Heimreise antreten.
Eine weitere Begegnung mit Vivi ist uns erspart geblieben, vielleicht ist sie längst abgereist.
Die Stunden auf der Windflower II vergehen so schnell, dass Willi vorschlägt, das nächste oder übernächste Wochenende wieder auf Fehmarn zu verbringen. Diese Aussicht macht den Abschied von der Insel leichter. Machungwa bedauert, dass sein Urlaub bald vorüber sei, er wisse schon jetzt, dass er uns vermissen werde. So bald käme er nicht mehr nach Hamburg.
Lachend wende ich den Kopf zu Bruni. Ich flüstere ihr zu, dass sie froh sein solle, nicht ihre alten Kokosmatten essen zu müssen.
Statt Gisela abzuholen, fahre ich nach Hause. Meine Eltern werden nichts dagegen einzuwenden haben, dass sie einen Tag länger bei ihnen herumkrabbelt.
Im Treppenhaus klingelt mein Handy, Brunis Kontaktbild lacht mich an. Ich weiß nicht, was die macht, wenn ich mal plötzlich sterben sollte.
Ihre Stimme überschlägt sich förmlich. »Diese Vivi scheint ja ein ganz durchtriebenes Aas zu sein. Sitzt ganz relaxt mit Geigenpaul in dem Straßencafé gegenüber von Elektroteile-Brömmers ; sie scheint ihn vom Flughafen abgeholt zu haben, denn er hatte eine Reisetasche neben sich stehen und eine graue Seppeljacke an.«
Der Hausflur beginnt langsam um mich zu kreisen; ich muss mich setzen. Durch mehrmaliges Schlucken versuche ich, die aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken. »Mir doch egal. Ich habe jetzt ganz andere Probleme, Bruni. Ich muss auspacken. Tschüss.« So barsch habe ich noch nie ein Gespräch mit meiner Freundin beendet. Mit zittrigen Beinen rappele ich mich hoch und schließe meine Wohnungstür auf. Für einen Moment lege ich mich auf die Couch, dann sende ich Bruni eine Entschuldigungs-SMS. Ich schreibe, dass ich sauer sei, weil Machungwa bald abreisen werde. Ihre Antwort kommt innerhalb weniger Sekunden. »Du kleine Schwindlerin«, ein witziger Smiley lacht mich frech an.
Anschließend melde ich mich bei meiner Familie zurück. Meine Mutter ist wie immer froh, dass ich wieder gesund zu Hause bin. Rasch erklärt sie, dass ich mir keine Sorgen machen müsse, sie habe alles perfekt gemanagt. Das Wort alles lässt mich aufhorchen.
»Na, Paul hat gestern Morgen angerufen und sich nach dir erkundigt, Kind. Er wollte dich nicht stören, weil er meinte, du würdest bestimmt viel schlafen. Er wisse wie es sei, wenn man eine Grippe habe. Ich erklärte ihm, dass du wirklich sehr viel schlafen würdest … im Garten, unter dem Sonnenschirm. Das habe ich natürlich vorausschauend gesagt, weil ich mir denken konnte, dass du auf der Insel ordentlich Farbe abbekommen hast. Er hat dich lieb grüßen lassen. Und dann hat er gesagt, dass er mich sehr gern habe, weil wir beide, also du und ich, uns so ähnlich seien. Darüber habe ich mich richtig gefreut, so etwas höre ich als Mutter natürlich gern.« Sie kichert. »Ganz nebenbei erwähnte ich, dass du natürlich sehr traurig bist, weil du wegen der Erkältung nicht mit ins Allgäu
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