Lügen haben rote Haare
fest entschlossen: Wenn ich zurück an den Apparat gehe und er noch immer keift wie ein Besessener, braucht er gleich einen guten Ohrenarzt. Als ich nach etlichen Minuten zurück ins Wohnzimmer gehe, wütet er noch immer.
»Ha … eine rote Hexe bist du … eine fette dicke Hexe …«
Ich richte die Vuvuzela aus, bin in Gedanken beim Endspiel der Fußball-Europameisterschaft 2008, Spanien gegen Deutschland, in der Metzelder einen Schuss von Iniesta abfälschte. ( Von wegen, nicht sportbegeistert! ) Dabei habe ich das von Stefan Raab erfundene »Schland« im Kopf. Ich blähe meine Lungen und puste mit meiner ganzen Kraft in das Instrument des Grauens. Danach ist es am anderen Ende der Leitung mucksmäuschenstill; ich beende die Verbindung. Als wenn ich nicht schon genug um die Ohren hätte!
Bruni fühlt sich von den Neuigkeiten fast erschlagen. Sie schlägt vor, dass wir uns heute Abend um meine Schwester kümmern sollten. Ich überlege kurz.
»Conny würde sich freuen, aber ob uns ein Chips-Topflappenhäkeln-Vom-Winde-verweht-DVD-Abend gefallen wird, Bruni, ich weiß nicht.«
Bruni verzieht das Gesicht, dann lacht sie verunsichert.
»Ne, solche Abende habe ich als Dreizehnjährige bei meiner Oma verbracht. Du glaubst nicht, wie schnell ich erwachsen werden wollte, damit ich aus dieser Nummer rauskomme.«
Sie wirft rücklings eine Packung Kopierpapier Richtung Kopierer, die ihr Ziel verfehlt und auf dem Boden landet.
»Und nun bin ich erwachsen! Dann schauen wir halt, wer heute Abend Zeit hat, und dann werden wir beschließen, was wir unternehmen. Wir werden dabei an Conny denken, Karo. Nur denken , mehr nicht.«
Ich atme erleichtert auf. Denken kann ich auch sehr gut, besonders mitfühlend.
Im Gegensatz zu Nikolaus Geiger kommt Geigenpaul fast jeden Tag verspätet ins Büro. Das macht ihn besonders sympathisch, dadurch fangen unsere Arbeitstage zwei Stunden später an.
Unpünktlich, um 10 Uhr, kommt mein Chef. Er streichelt kurz über meinen Rücken, greift meine Hand und zieht mich hinter sich her. Noch bevor ich ihm gegenübersitze, stammele ich eine Entschuldigung.
»Du musst dich nicht entschuldigen. Du hattest einen sehr langen … Arbeitstag … Kein Wunder, dass du müde warst. Wir haben deine Nachricht gefunden; du hättest nicht mitten in der Nacht davonlaufen müssen. Bei den van Ankums habe ich dich entschuldigt, dass du dich den ganzen Tag schon nicht sehr wohlgefühlt hättest.«
Auf das Wort »Arbeitstag« reagiere ich gereizt.
»Kann ich die ›Überstunden‹ an die Buchhaltung weitergeben? Ich meine, mein Job ist momentan nicht wirklich leicht. Was ich in der Zeit alles erledigen könnte …«
Seine grünen Augen funkeln mich spöttisch an. »Natürlich darfst du das. Aber vielleicht können wir beide das auch intern regeln. Brauchst du neue Schuhe? Nein, warte … Wie wäre es mit einigen Gutscheinen für die VIP-Lounge des Kakadi … oder … was hältst du von einer Echthaar-Perücke?«
Mein Kartenhaus fällt in sich zusammen. Mir ist glasklar, dass er durch die Anspielungen auf Kakadi und Perücken meine Wahrheitsliebe testen will. Ich bin ein Schaf. Zugeben werde ich jedoch nichts. Gar nichts! Schließlich fragt er nicht direkt nach den Tatsachen. Für Sekunden verkeilen sich unsere Blicke, kräftemessend, ineinander.
»Vergessen wir die Diskussion. Ins Kakadi komme ich, dank hervorragender Beziehungen, wann immer ich will … und eine Perücke besitze ich bereits. Ich notiere jede Sekunde, die du mich nach Büroschluss in Anspruch nimmst, dafür nehme ich Freistunden.«
Er hebt ergeben die Hände. »Ganz wie du willst, mir soll es egal sein. Übrigens, unser Plan ging auf: Beatrice ist von Bert schwer angetan, die beiden treffen sich heute Abend im Golf-Club. Mit Oskar bin ich auch im Reinen. Alles im Lot.«
Bruni schimpft mich regelrecht an. »Bist du bescheuert? Ich hätte sein Angebot, Schuhe zu kaufen, sofort angenommen. Du bist aber auch eine …«
Geigers weitere Anspielungen behalte ich für mich.
»Hast du denn gar keinen Stolz, Bruni?« Mein Blick spricht Bände.
»Hä? Stolz? Ne, Karo, wenn es um Schuhe geht, nicht.«
Kurze Zeit später erreicht mich statt Connys Anruf der Anruf meiner Mutter. Sie ist vollkommen aufgebracht. Gerade als sie zu Frau Piefke ins Krankenhaus fahren wollte, stand Conny mit zwei Koffern vor der Tür und beantragte Asyl. Sie habe fürchterlich geweint, weil Anton sie betrügen würde, und ich sollte plötzlich an allem
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