Lügen haben rote Haare
schuld sein. Laut Connys Aussage hätte ich ihr voller Schadenfreude und absichtlicher Boshaftigkeit das Video gesendet. Und zusätzlich dafür gesorgt, dass Anton für einen Tag zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben müsse. Im Hintergrund höre ich die aufgeregte Stimme meines Vaters. Er faselt etwas von Stutenbissigkeit. Ich verspreche meiner Mutter, dass ich mir freinehmen und innerhalb von einer halben Stunde zu Hause sein werde.
Bruni, die teilweise mitgehört hat, ist ebenfalls sehr entrüstet. »Deine Schwester ist wirklich mit allen Wassern gewaschen, Karo. Die ist doch nicht normal!«
Ich unternehme einen schwachen Verteidigungsversuch und schiebe die Gemütsschwankungen auf die Schwangerschaft.
Bruni kontert. »Schwanger hin, schwanger her, so benimmt man sich einfach nicht.«
Ich schlüpfe in meine leichte Jacke und stürme in Geigers Büro. Zur Abwechslung komme ich , ohne lange Vorrede, auf den Punkt. »Ich nehme mir für den Rest des Tages frei. ›Überstundenabbau‹. Ich muss zu Hause dringend was regeln. Familienangelegenheit.«
Bevor er Einwände erheben kann, bin ich weg.
Wenn im Haus van Goch keine Musik läuft, ist im übertragenen Sinne Staatstrauertag. Im Wintergarten sitzen meine Eltern neben Conny, die, sobald sie mich erblickt, wie eine Sirene losheult. Opa Heini zeigt sich unbeeindruckt von der Situation. Er feilt mit einer Nagelfeile an einer Minischraube und pfeift, wenn ich mich nicht verhöre, fast lautlos Spiel mir das Lied vom Tod von Ennio Morricone. Conny wehrt meine Umarmung ab und zeigt mit dem Finger so infantil auf mich, als wäre sie Panni , die Drillingsschwester von Hanni und Nanni.
»Du bist an allem schuld …« Die restlichen Worte ihrer Anschuldigungen gehen im Jammern unter. Sie presst theatralisch die Hände vors Gesicht.
Ich fühle mich um Jahrzehnte zurückversetzt. Wie oft haben wir in unserer Kinder- und Jugendzeit hier im Wintergarten gesessen und jede von uns durfte ihre Version der Geschichte erzählen. Erst im Anschluss daran fällten meine Eltern den Urteilsspruch, der auch schon mal Stubenarrest oder Fernsehverbot bedeuten konnte. In der Regel traf Conny der Hammer der Gerechtigkeit.
Opa Heini mischt sich ein, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Da Conny durch ihr Geheule nicht zu verstehen ist, fang du an, Karo.«
»Okay. An dem besagten Tag, als Anton angeblich in Düsseldorf war, bat Conny mich, mit ihr den Abend zu verbringen. Häkeln, Knabbereien, DVD-Schauen. Leider war Bruni aber, ähm … ziemlich krank. Ich hatte ihr versprochen, mich um sie zu kümmern. Aber, wie das so ist … Gegen 22 Uhr ging es ihr wie durch ein Wunder besser, dann sind wir halt ausgegangen. Ins Kakadi … «
Zornig unterbricht mich meine Schwester. »Wieso kommst du ins Kakadi , das glaube ich dir niemals. Siehst du, Mama, was die sich für Geschichten ausdenkt?«
Ich fahre fort. »Nicht nur ich komme in diese Disco, sondern auch dein Mann! Den habe ich dann zu später Stunde mit dieser komischen Tussi in der Menge entdeckt. Ich wollte ihn nicht in Verlegenheit bringen, darum habe ich ihn nicht angesprochen, und dir habe ich nichts davon erzählt, um dich in deinem Zustand nicht aufzuregen. Ja, ja, ja, vielleicht hätte ich anders handeln sollen, habe ich aber nicht. Und gestern Abend ist durch einen unglücklichen Umstand die MMS, in der ich Anton aufforderte, mit dem Scheiß aufzuhören, fälschlicherweise an dich gegangen. Danach rief ich dich an, Conny; du warst sehr gefasst, wolltest nicht, dass ich komme. Außerdem hast du mich gebeten, weder Mama, Papa noch Opa etwas von der Geschichte zu erzählen. Das war’s, mehr kann ich dazu nicht sagen.« Ich verschränke die Arme vor der Brust und lehne mich entspannt zurück.
»Stimmt das, Conny?« Meine Eltern stellen gleichzeitig die Frage.
Die Angesprochene verzieht trotzig das Gesicht, steht auf und stampft wütend ins Haus. Meine Eltern blicken ratlos hinterher. Meine Mutter tätschelt meine Hand, mein Vater lächelt mich müde an und wischt sich einen Schweißfilm von der Stirn.
»Du kannst nun wirklich nichts dafür, Karo. Es hilft nichts, wenn Conny die Verantwortung auf dich schieben will. Diese Angelegenheit muss sie mit Anton klären.«
Opa Heini schaltet das Radio an. »Hab’ ich gleich gesagt. Die Große verdreht gerne die Tatsachen.«
Mit schlechtem Gewissen erkundige ich mich danach, warum Anton im Krankenhaus liegt.
Opa Heini lacht verschmitzt. »Der hat einen ›Tittinus‹ …
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