Lügen in Kriegszeiten
friedlicher, sogar vorsichtiger als seine Ratgeber.
Zur Zeit der Marokkokrisis war „der Kaiser friedlich“, und in den letzten Julitagen 1914, sagt Ludwig, indem er von Deutschland, Österreich und Rußland spricht:
Drei ausgesprochen antikriegerische Kaiser wurden von Ehrgeiz, Rachsucht, Ungeschick ihrer Minister in den Krieg getrieben, dessen Gefahren für ihre Throne sie alle drei vorausfühlten und schon deshalb zu meiden suchten.
Sogar Lord Grey sagt jetzt, da alles vorüber ist:
Wären die Dinge ihm (dem Kaiser) anheimgestellt gewesen, so wäre aus dem österreichisch-serbischen Streite kein europäischer Krieg geworden.
„Twenty-Five Years”, Bd. 2, S. 25.
Dessenungeachtet wurde der Kaiser bis 1919, als der Schurke im Stück, in allen alliierten Ländern als die Verkörperung aller Schlechtigkeit dargestellt.
Diese sehr einfache Form von Propaganda hat auf die Gefühle des Volkes einen großen Einfluß ausgeübt. Es steht außer Frage, daß Tausende von jenen, die ins Heer eintraten, unter dem Eindruck waren, daß die Gefangennahme dieses Ungeheuers der Hauptzweck des Krieges sei, denn sie wußten ja nicht, daß der Krieg dem Schachspiel gleicht, bei dem der König nicht weggenommen werden darf, solange das Spiel im Gange ist; das ist gegen die Regeln. Es würde das Spiel verderben. Auf gleiche Weise wurde auch auf keiner Seite das Hauptquartier je bombardiert, weil, wie ein Soldat in schlichten Worten sagte, „dies der ganzen verfluchten Sache ein Ende machen würde“.
Als das Volk entdeckte, daß der Kaiser leider im Kriege nicht gefangen oder getötet worden war, tröstete es sich mit der Erwartung, daß er nach Kriegsschluß verhört und gehängt würde. Wenn er wirklich all das war, als was er geschildert worden war, so war dies das mindeste, was man erwarten konnte.
Als sich aber nach Monaten und Jahren herausstellte, daß keine verantwortliche Persönlichkeit an seine persönliche Schuld wirklich glaubte oder je daran geglaubt hatte, daß der Ruf „Hängt den Kaiser“ nur wohlüberlegter Bluff war, und daß, nachdem alles vorüber war und Millionen unschuldiger Menschen ihr Leben gelassen hatten, er, der Verbrecher, das Ungeheuer, der Verschwörer und der Urheber der ganzen Katastrophe in aller Behaglichkeit und Ruhe in Holland leben durfte, da war für einfache, unwissende Leute die Enttäuschung weit größer, als man sich je vorstellte. Es war die Aufdeckung dieser groben Täuschung, die zuerst bei vielen einfachen Leuten die Frage aufkommen ließ, ob sie nicht auch in anderen Dingen getäuscht worden waren.
8
Das belgische Baby ohne Hände
Das belgische Baby, dem die Deutschen die Hände abgehackt hatten, reiste nicht nur in den Städten und Dörfern Großbritanniens umher, sondern es kam auch nach Westeuropa und Amerika, ja sogar bis nach dem fernen Westen. Niemand überlegte und fragte, wie lange denn ein Baby, dem die Hände abgeschnitten sind, leben kann, wenn nicht sofort chirurgische Hilfe zur Hand ist, um die Schlagadern zu unterbinden (die Antwort ist, nur wenige Minuten). Jedermann wollte die Geschichte glauben, und einige gingen sogar so weit und behaupteten, das Baby gesehen zu haben. Diese Lüge fand ebenso allseitigen Glauben wie jene vom Durchzug russischer Truppen durch Großbritannien.
Ein Mann, den ich nicht gesehen habe, erzählte einem Offizial der katholischen Gesellschaft, daß er mit eigenen Augen gesehen hat, wie deutsche Soldaten einem Baby, das sich am Rocke seiner Mutter festhielt, die Arme abgehackt haben.
,,Times“, Pariser Berichterstatter, 27. August 1914.
Am 2. September 1914 führt der Berichterstatter der Times die Aussagen französischer Flüchtlinge an: „Sie schneiden den kleinen Knaben die Hände ab, damit Frankreich keine Soldaten mehr haben soll.“
Bilder vom Baby ohne Hände waren aus dem Festlande, sowohl in Frankreich wie in Italien, sehr beliebt. Le Rive Rouge brachte am 18. September 1915 ein solches Bild und am 26. Juli 1916 ein noch greulicheres, aus dem Soldaten die Hände aufaßen. Im Journal erschien am 30. April 1916 die Photographie der Statue eines Kindes ohne Hände. Aber das gräßlichste von allen, das keine Spur von Karikatur auswies, wurde von den Alliierten für Propagandazwecke hergestellt und in Critica in Buenos Aires veröffentlicht (am 30. Januar 1925 in der Sphere reproduziert). Die Überschrift aus dem Bilde lautete: „Die Bibel vor Allem“, und darunter standen die
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