Lügen in Kriegszeiten
Kampfgeist unserer Völker zu erwecken. Die den Deutschen zur Last gelegten Grausamkeiten waren haarsträubend. Wir hörten die Geschichte von armen, kleinen belgischen Kindern, denen die Hunnen die Hände abgeschnitten hatten. Nach dem Kriege schickte ein reicher, von der französischen Propaganda tiefgerührter Amerikaner einen Kundschafter nach Belgien, da er für die armen Geschöpfe, denen die Hände abgeschnitten worden waren, sorgen wollte. Er vermochte kein einziges ausfindig zu machen.
Mr. Lloyd George und ich selbst, als ich an der Spitze der italienischen Regierung stand, stellten ausgedehnte Nachforschungen an, um die Wahrheit über diese schrecklichen Anschuldigungen zu ermitteln. Bei einigen von diesen waren uns Namen und Orte angegeben worden, aber jeder untersuchte Fall erwies sich als eine Legende.
Oberst Repington schreibt in seinem Diary of the World War , Bd. 2, S. 447:
Kardinal Gasquet erzählte mir, daß der Papst versprochen hatte, an die Welt einen scharfen Protest zu erlassen, wenn in einem einzigen Falle nachgewiesen werden könnte, daß belgische Nonnen geschändet oder Kindern die Hände abgeschnitten worden waren. Es wurde eine Untersuchung eingeleitet, und mit Hilfe des Kardinals Mercier wurden viele Fälle geprüft. Kein einziger Fall konnte nachgewiesen werden.
Der ehemalige französische Finanzminister Klotz, der zu Beginn des Krieges mit der Pressezensur betraut war, sagt in seinen Memoiren (De la Guerre à la Paix, Paris, Payot, 1924):
Eines Abends zeigte man mir einen Korrekturbogen des Figaro , in dem zwei Wissenschaftler von Ruf die Behauptung aufgestellt und durch ihre Unterschrift erhärtet hatten, daß sie mit eigenen Augen ungefähr hundert Kinder gesehen hätten, denen von den Deutschen die Hände abgeschnitten worden waren.
Trotz der Bezeugung dieser Wissenschaftler hegte ich hinsichtlich der Richtigkeit des Berichtes Zweifel und verbot dessen Veröffentlichung. Als der Herausgeber des Figaro seine Entrüstung darüber ausdrückte, erklärte ich mich bereit, im Beisein des amerikanischen Botschafters die Sache zu untersuchen, die die ganze Welt in Aufregung versetzen würde. Ich verlangte jedoch, daß mir von den zwei Wissenschaftlern der Name des Ortes, wo die Nachforschungen statthaben sollten, angegeben werde. Ich bestand auf der sofortigen Übermittlung dieser näheren Umstände. Bis heute habe ich von den zwei Herren weder etwas gesehen noch gehört.
Aber diese Lüge prägte sich dermaßen in das Gedächtnis der Leute ein, daß sie bis auf den heutigen Tag noch nicht ausgestorben ist. Erst vor kurzem veröffentliche ein Liverpooler Dichter einen Band Gemischte Gedichte , von denen ein „patriotisches“ Gedicht folgende Zeilen enthält:
Sie stemmten sich gegen den ersten wilden Ansturm
Der gebildeten deutschen Hunnen,
Die jede belgische Frau geschändet,
Jeder Mutter Sohn verstümmelt hatten.
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Das Löwener Altarbild
Bei der Friedenskonferenz beanspruchten die belgischen Vertreter die Flügel des Altarbildes von Dietrick Bouts als Entschädigung für das berühmte Löwener Altarbild, ein wertvolles Kunstwerk, das, wie sie sagten, von einem deutschen Offizier frevelhafterweise in die Flammen der brennenden Bibliothek geworfen worden war. Der Angabe wurde Glauben geschenkt und die zwei Bilder überwiesen. Aber die Geschichte war nicht wahr.
Der New Statesman vom 12. April 1914 berichtet den wahren Sachverhalt:
Das Dietrick Bouts Altarbild wurde weder von den Deutschen noch von sonst jemandem in die Flammen geworfen. Das Bild befindet sich noch vollkommen unversehrt in Löwen, und die Deutschen haben es nicht zerstört, sondern vor der Vernichtung bewahrt. Ein deutscher Offizier rettete es vor den Flammen und übergab es dem Bürgermeister von Löwen, der es zur sicheren Verwahrung in die Kellergewölbe des Rathauses einmauern 1ieß. Es ist regelrecht wieder herausgenommen worden …
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Die verächtliche kleine Armee
Ohne Zweifel war von allen Schlagworten, die im ganzen Verlaufe des Krieges zu Werbezwecken ausgegeben wurden, das von „der verächtlichen kleinen Armee“ – Worte, die der Kaiser in bezug aus das britische Expeditionsheer gebraucht haben soll – das erfolgreichste. Man kann sich denken, daß es im ganzen Lande die größte Empörung hervorrief. Die Geschichte dieser Lüge und ihre Ausdeckung ist äußerst interessant.
In einem Anhang zu den B. E. F.-Tagesbefehlen vom 24. September 1914
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