Lügen & Liebhaber
beobachtet? Ausgeschlossen. Niemand außer dem Pförtner wußte, daß wir hier oben waren. Wahrscheinlich stand nur irgendwo ein Fenster offen.
Henrik fischte derweil das Handy aus seiner Hose, die sich an der Spitze der Gondel verhakt hatte, und meldete sich mit einem atemlosen »Hallo?«.
Dann sagte er sekundenlang gar nichts, und ich verstand auchnicht, was am anderen Ende der Leitung gesprochen wurde. Es konnte nur Toni sein. Sie hatte uns noch unseren Höhepunkt gelassen, aber kaum war der Ausbruch aus dem Hier und Jetzt vorbei, sorgte sie zu Recht dafür, daß sich mein schlechtes Gewissen meldete. Und es war mehr als nur ein schlechtes Gewissen. Von mir aus durfte ich Karl, Skip und Oskar belügen und betrügen, aber nicht meine beste Freundin. Wieso hatte ich es bloß so weit kommen lassen?
An Henriks Gesichtsausdruck war nicht abzulesen, was los war, er machte nur »Mh, mh«, und schließlich sagte er: »Bleib ganz ruhig. Ich bin gleich bei dir.« Henrik stellte das Handy aus; sein Gesicht war kalkweiß: »So wie’s aussieht, hat Toni ihr Kind verloren.«
*
An das, was danach passierte, konnte ich mich lange Zeit nicht erinnern, und auch, als bereits Gras über die ganze Sache gewachsen war, blieb alles irgendwie verschwommen. Als wäre der Abend nur ein böser Traum gewesen.
Vermutlich hatte ich mir ein Taxi genommen, Henrik sich ein anderes, wir hatten uns zur Verabschiedung flüchtig geküßt, wie Ehepaare es nach der Scheidung taten, nur waren wir dabei wie versteinert gewesen, weil wir beide glaubten, das schrecklichste Schicksal dieser Welt tragen zu müssen. Dabei war Toni doch diejenige, die wirklich arm dran war …
Leider Gottes hatte sie tatsächlich einen Abgang gehabt. Doch das erfuhr ich nicht von ihr persönlich. Denn seit meiner Nacht mit Henrik in der Gondel war sie verschollen. Ging nicht ans Telefon, wenn ich anrief, öffnete nicht, wenn ich klingelte, und auch nachdem ich ihr Dutzende Male aufs Band gesprochen hatte, kam kein Rückruf. Fast fürchtete ich, Toni habe sich etwas angetan, als ein Brief von Henrik eintrudelte. Und damit fing das eigentliche Drama erst an: Nicht nur, daß Toni wirklich ihr Kind verloren hatte, nein, zu allem Überfluß war ihr auch noch die Sache zwischen mir und Henrik zugetragen worden.
Ich hätte es mir denken können! Während mich Lust und Leidenschaft und jede Menge Unvernunft davongetragen hatten, war Intrigant Konstantin noch durch das Gängegewirr der Oper gespukt, immer seiner verdammt guten Nase nach. Warum hatte er uns unbedingt nachspionieren müssen? War er eifersüchtig gewesen nach dem eigentlich schönen Abend, den wir zu dritt erlebt hatten? Und wieso mußte er seinen Lieblingssport namens Denunzieren zufälligerweise genau in dem Moment ausüben, in dem Toni das Schlimmstmögliche überhaupt zugestoßen war?
Aber ich war viel zu schwach, viel zu ausgelaugt, um irgendwelche Konsequenzen daraus zu ziehen. Wozu auch? Eher hätte ich mich selbst ohrfeigen mögen, daß ich mich hatte hinreißen lassen.
Oder etwa doch nicht? Waren diese paar Minuten mit Henrik nicht das Einmaligste gewesen, was ich bisher erlebt hatte? Wie vertrackt die Situation auch sein mochte, ich konnte die Frage nur bejahen. Höchstens Adriano hatte es hin und wieder geschafft, daß ich alles um mich herum vergaß, trunken vor Glück war. Nur wieso in Gottes Namen hatte mir das Leben für diesen Trip ausgerechnet den Mann meiner besten Freundin bereitgestellt?
Wie auch immer – jedenfalls wußte ich jetzt, was ich nicht mehr wollte. Nämlich halbherzige Affären mit Männern wie Karl, Skip oder auch Oskar. Um ehrlich zu sein, war ich doch mein ganzes Leben von einer halbherzigen Affäre in die nächste geschlittert. Abgesehen von Adriano. Und der hatte mich nicht gewollt.
Keine Ahnung, warum es ausgerechnet bei Henrik diesen Flash gegeben hatte. Nein, es war keine Liebe, für einen kurzen Moment hatte der Mann bloß all meine Sehnsüchte erfüllt, und ich würde alles daransetzen, daß auch keine Liebe daraus wurde. Henrik gehörte zu Toni und Toni zu mir – das war das einzige, was zählte. Auch wenn Toni das vermutlich nicht mehr so sah. Oder weshalb ging sie nie ans Telefon?
Nachdem ich etwa zweieinhalb Wochen vergebens bei ihr angeklingelthatte, sah ich in meiner Not keinen anderen Ausweg mehr, als Henrik zu kontaktieren. Ich rief am Flughafen an, und erst nachdem ich etwa fünfmal falsch durchgestellt wurde, landete ich schließlich auf seinem
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