Lügen & Liebhaber
ab, die nächste U-Bahn sei ja wohl nicht weit.
»Das nicht.« Skip gähnte. »Aber wenn du willst, fahre ich dich eben rum.«
»Nicht nötig. Wie alt bist du eigentlich?«
»Dreiundvierzig.« Jungenhaftes Grinsen. »Ist das ein Problem für dich?«
Statt einer Antwort tätschelte ich Skip die Wange, ging dann den Weg in Richtung Wandsbeker Chaussee. Nur Sekunden später war Skip mit seinem Wagen auf meiner Höhe. Durch das Fenster reichte er mir seine Visitenkarte.
»See you in Berlin!« Er hupte, gab Gas, und dann brauste er davon.
*
Ich war kaum zu Hause, hatte meine Sachen vom Vortag ausgezogen und stand nackt vor meiner Duschkabine, als das Telefon ging. Fluchend lief ich zurück in mein Zimmer und nahm ab.
»Geht’s dir gut, Sylvie?« Es war Karl.
»Ja. Mir geht’s gut. Wieso?« Ich bemühte mich, so normalwie möglich zu klingen, während mein Gesicht zu glühen anfing. Und in dem dringenden Bedürfnis, mich irgendwie zu schützen, wickelte ich mich kurzerhand in meine Sommerdecke ein.
»Ich hab gestern immer wieder probiert, dich anzurufen. Wo hast du bloß gesteckt?«
»Bei Toni. Meiner Freundin …«, sagte ich und wunderte mich ein wenig darüber, daß die Lüge so einfach über meine Lippen kam.
»Habt ihr das schöne Wetter genossen?«
»Ganz genau.«
Karl schwieg einen Moment.
»Und was macht man so in Hamburg, wenn man das schöne Wetter genießt?«
Wollte dieser Mann jetzt gnadenlos Small talk betreiben oder mir etwa hinterherspionieren?
»An der Elbe Spazierengehen, draußen im Café sitzen, Boot fahren«, leierte ich lustlos runter. Eigentlich stand mir nur der Sinn nach duschen. Ich hatte noch Skips Geruch an mir, wobei sich die leckere Gewürznote verflüchtigt hatte und lediglich die penetrante Schweiß-Kondom-Note haftengeblieben war.
»Weshalb ich anrufe …«
Ah – endlich kommt er zum Thema, dachte ich, aber dann schob Karl noch ein, es habe in Berlin gegen Abend gehagelt, just in dem Moment, als er seine Wäsche auf der Dachterrasse habe aufhängen wollen. Der Mann war ja wirklich ein Pechvogel und ganz schön zu bedauern.
»Also – weshalb rufst du an?«
»Erstens um deine Stimme zu hören und zweitens – du hast ein Vorstellungsgespräch.«
»Was für ein Vorstellungsgespräch? Wo …? Wieso …?« Ich war wirklich perplex.
»Bei meiner Synchronfirma. Dein Auftritt in ›Mädchen im Kurhotel‹ ist außerordentlich gut angekommen.«
»Schmink es dir ab!«
»Aber warum denn?«
»Never!«
Ich stellte das Telefon aus, rief aber kurz darauf Karl zurück, weil ich in der Tat überreagiert hatte.
»Du kommst also nach Berlin?« Karls Stimme stolperte wie ein aus dem Takt geratenes Herz.
»Ich weiß nicht … Ich mein, es ist einfach nicht mein Ding, Pornos zu synchronisieren …«
»Wessen Ding ist das schon«, murmelte Karl.
»Laß mich wenigstens eine Nacht drüber schlafen.«
»Ich hab der Disponentin deine Telefonnummer gegeben. Fromm heißt sie. Sie wird dich anrufen.«
»Okay«
»Okay?«
Ich sah Karl schon auf seiner Dachterrasse einen Freudentanz aufführen. Im Hagel.
»Es ist in Ordnung, wenn sie mich anruft. Ob ich kommen werde, weiß ich noch nicht.«
Frau Fromm meldete sich noch am selben Tag. Und zwar abends nach der Vorstellung, als ich wieder mal splitterfasernackt war und zudem den ganzen Mund voller Zahnpasta hatte. Ich war davon ausgegangen, es könne nur Toni, Karl oder Skip sein, also hatte ich mir nicht die Mühe gemacht, vorher den Mund auszuspülen, und als ich den Namen Fromm hörte, wußte ich im ersten Moment auch gar nicht, mit wem ich es zu tun hatte. Ich kannte nur Fromms Kondome und Erich Fromm, aber dann fiel zum Glück doch noch der Groschen. Als sei es ganz normal, mitten in der Nacht anzurufen, und ohne überhaupt in Erwägung zu ziehen, daß andere Leute um diese Uhrzeit vielleicht schon im Bett lagen, begann sie ihr Geschäftsgespräch, während ich mit Schaum vorm Mund der Dinge harrte. Hatte Karl noch etwas von Vorstellungsgespräch gesagt, ging es plötzlich um ein ziemlich eindeutiges Kennenlerngespräch inklusive Vorsprechen.
Ich und vorsprechen! Meine Stimme schnarrte im Normalfall und piepste bei Aufregung, sie hatte mir nicht die Aufnahme in den Schulchor ermöglicht, und beim Vorlesen in der Schule war ich ohne mehrmaliges Räuspern nicht durch den Text gekommen.
»Wann können Sie hier sein?«
»Einen Moment. Ich hole nur meinen Terminkalender«, sagte ich mit einer mir selbst fremden Professionalität.
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