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Lügen & Liebhaber

Lügen & Liebhaber

Titel: Lügen & Liebhaber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Fülscher
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Und während ich in die Küche rannte, wo ich erst in Windeseile meinen Mund ausspülte und dann den Opernspielplan von der Pinnwand riß, fragte ich mich, ob ich das überhaupt wollte, mich einfach von dieser halbseidenen Firma vereinnahmen zu lassen. Wieso waren sie sich eigentlich so sicher, daß ich ihnen sofort zu Diensten stehen würde? Hatte Karl ihnen erzählt, es sei schon immer mein größter Wunsch gewesen, in dieser Branche tätig zu sein? Waren die Pornosprecherjobs so begehrt? Mensch, Leute! Ich hatte die letzten fünf Jahre mit der Gottfriedschen Minnegrotte zugebracht, hatte Lautverschiebungen gelernt und Franz Sternbalds Wanderungen in Relation zum Werther analysiert! Und das alles, um mich jetzt den ganzen Tag stöhnend in einen Aufnahmeraum zu stellen? Andererseits gab es keine rechte Alternative. Von dem bißchen Operngeld ließ sich kaum die Miete bezahlen. Betrachte es als vorübergehenden Job, sagte ich mir, als ich wieder den Hörer in die Hand nahm.
    Frau Fromm reagierte unwirsch, als ich ihr mitteilte, ich könne frühestens in einer Woche kommen, aber kaum daß ich ihr erklärte, ich würde an der Oper tanzen , bekam ihre Stimme etwas Devotes, und sie sagte: »Sicher doch. Kommen Sie, wann Sie wollen.«
    *
    Meine Mutter war schwer beeindruckt und wähnte mich schon als Sprecherin in ihrer Lieblingsserie »Reich und schön«. Allerdings erfuhr sie auch nur die halbe Wahrheit. Und die war für meinen Vater schon derart niederschmetternd, daß er mich anrief, um seiner wahrhaftigen Enttäuschung Ausdruck zu verleihen. Ich in den Niederungen der Unterhaltungsbranche. Wozu hatten seine Kollegen mir eigentlich jahrelang wissenschaftliches Arbeiten beigebracht? Ja, wozu denn? Hauptsache, der Rubel rollt, Papa. Es kann ja nicht jeder als Hofmannsthal-Experte in die Literaturgeschichte eingehen.
    Das alberne Verhalten meines Vaters war der eigentliche Grund dafür, daß ich meinen Entschluß auf einmal vollkommen richtig fand und sogar noch einen Schritt weiterging, indem ich mir überlegte, wie es denn wohl wäre, wenn ich mich gleich als Pornodarstellerin verdingte. Das wäre doch ein idealer Stoff fürs Professorenkollegium. Horsts Tochter als neuer Star am Pornohimmel. Deep throat, Teil zwei.
    Aber ich war ja brav. Ließ mich den einen Abend von Karl anrufen, den anderen von Skip und konnte mich nicht entscheiden, wen ich nun eigentlich lieber hatte. Ansonsten ging ich meiner Beschäftigung an der Oper nach. Zum Glück war Konstantin eine sechswöchige Ruhepause verordnet worden, so daß er es nicht noch einmal wagen konnte, Stanislaw die Rolle zu entreißen und mich damit in Lebensgefahr zu bringen.
    Am Vortag meiner Abfahrt nach Berlin – ich war mit Toni frühstücken gewesen und hatte mir die neueste Horrorstory ihrer leider erfolglosen Insemination angehört – traf ich Oskar.
    Ich dachte zumindest, er könnte es sein, als er mir am Neuen Wall entgegenkam – Oskar in etwas rundlicherer, glatzköpfigerer und älterer Ausführung, bekleidet mit einem schwarzen Gehrock –, auch er stutzte, als er auf meiner Höhe war, und dann fielen wir uns in die Arme. Einfach so.
    Vermutlich hatten wir uns vor über zehn Jahren zuletzt gesehen. Oskar, der Junge, in den ich mit vierzehn, fünfzehn unsterblich verliebt gewesen war. Nach Christopher mit den braunen Augen und blonden Haaren. Aber auch mit Oskar war es nie etwas geworden. Zu schön, zu selbstverliebt, wahrscheinlich schwul und außerdem – alle Mädchen in unserer Klasse hatten Oskar damals stillschweigend ihr Herz geschenkt. Immerhin waren wir zwei-, dreimal im Kino gewesen, aber da es nie Themen gab, über die man davor und danach hätte reden können, waren unsere Verabredungen zu meinem großen Kummer eingeschlafen.
    Oskar lachte mich an, seine Zähne standen genau wie damalsein bißchen schief: »Gut schaust du aus«, sagte er. »Was treibst du so? Hast du eigentlich das Abi gemacht? Bist du verheiratet? Kinder?«
    Das waren eindeutig zu viele Fragen, so daß wir beschlossen, ins Café zu gehen. Jetzt sofort. Wir wählten das nahe gelegene »Bar Tabac«.
    Ich betrachtete Oskar, mußte immerzu grinsen. Was war bloß los, daß mir all meine Jugendlieben innerhalb einer Woche entweder mental oder leibhaftig erschienen? Oskar sah besser aus als früher Das heißt, er sah nicht wirklich  besser aus, eher interessanter Seine Figur hatte sich eindeutig verschlechtert, sein rötlichblonder Haarbestand auch, aber die scharfen Falten um den

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