Lügen & Liebhaber
wenig später ertappte ich mich dabei, wie ich einen Pikkolo trinkend Oskars Nummer wählte.
»Ich bin’s. Sylvie.«
»Ach … Hi.«
Oskar hatte die beiden Wörter zwar mit einer gewissen Emphase ausgesprochen, gab mir aber durch sein Zögern gleichzeitig zu verstehen, daß ich mit meinem Anruf doch irgendwie ungelegen kam.
»Hast dich lange nicht gemeldet«, sagte er dann. »Wo steckst du?«
»In Berlin.« Auch wenn ich es mir vielleicht nicht anmerken ließ, ärgerte ich mich maßlos darüber, daß es für Oskar nicht in Frage kam, mal von sich aus anzurufen.
»Ach, das ist lustig. Weißt du was? Ich treffe mich morgen mit einem Ostberliner Designer. Und rate mal, wo …?«
Intelligente Frage, dachte ich und wartete ab. Vielleicht kam er ja jetzt auf die Idee, sich mit mir zu verabreden.
»Wie lange bleibst du noch?«
»Bis Samstag.«
»Gut. Dann können wir uns ja vielleich … Moment, ich schau gerade in meinem Kalender nach … Was meinst du, wollen wir uns sehen?«
Mein Herzschlag geriet aus den Fugen. Ich zwang mich zur Ruhe, atmete erst einmal tief durch. »Moment«, sagte ich dann.
»Muß auch eben in meinem Terminkalender nachsehen.« Ohne groß zu überlegen, griff ich nach der Fernsehzeitschrift und raschelte damit herum. »Ja … Würde gehen.«
Wir einigten uns auf den frühen Abend. Ich schlug den »Schwarzen Raben« vor, nannte ihm Straße und U-Bahn-Station, und mit dem unguten Gefühl im Bauch, ihm möglicherweise erklären zu müssen, wo ich wohnte, legte ich auf.
Bis morgen hatte ich Zeit, mir etwas zurechtzulegen. Die Cousine,die eigentlich meine Tante war, kam mir mittlerweile etwas schal vor. Vielleicht sollte ich eine Freundin erfinden? Oder besser einen guten Freund, auf den er vielleicht eifersüchtig wurde?
Um meine Gedanken in geordnete Bahnen zu lenken, holte ich erneut die Grappaflasche aus Karls Bar. Ich würde sie rechtzeitig zurückstellen – war ja selbstverständlich – und morgen eine neue kaufen, um die fehlende Menge aufzufüllen.
Doch dann kam Karl so überraschend nach Hause, daß mir keine Zeit mehr blieb, die Spuren zu verwischen.
»Du trinkst zuviel, Sylvie. Was ist bloß mit dir los?« Karl nahm mir die Flasche weg und deponierte sie in einem der Schränke in der Küche.
»Nichts ist los. Ich kann mir doch wohl mal einen Grappa genehmigen.«
»Gestern warst du richtig besoffen, vielleicht erinnerst du dich. Setzt dir der Job so zu? Ist es das?«
»Quatsch!«
»Ich mag es nicht, wenn du eine Fahne hast.«
Ohne zu antworten, stand ich auf und ging auf die Dachterrasse. Ein kühler Wind strich mir um Beine und Arme und brachte die vielen kleinen Härchen dazu, sich aufzurichten. Karl kam mir nach.
»Bist du vielleicht mein Vormund? Und was hast du hier überhaupt schon zu suchen?« Ich hauchte in meine Hand und fand, daß ich mitnichten eine Fahne hatte.
»Huber ist schlecht geworden.«
»Was?«
Karl grinste. »Er wollte mir gerade ein spitzenmäßiges Regieangebot machen, da ist er plötzlich zur Toilette gerannt. Kam nach fünf Minuten kreidebleich zurück.«
»Du wirst Regisseur? Synchronregisseur?«
Karl nickte und massierte sich seinen Hüftspeck. »Ist doch naheliegend, wenn man schon so oft quasi zugeschaut hat.«
»Gratuliere.«
Irgendwie hatte ich auf einmal das dringende Bedürfnis, michhinzusetzen oder hinzulegen, also ging ich wieder rein und ließ mich auf dem Sofa nieder.
»Wollen wir nicht morgen essen gehen?« Karl war schon wieder hinter mir.
»Morgen geht nicht«, sagte ich schnell und merkte, wie mir das Blut in den Kopf schoß.
»Ach so. Du bist also schon verabredet«, stellte Karl scharfsinnigerweise fest.
»Eine Freundin aus Hamburg kommt zu Besuch.«
»Wenn sie will, kann sie hier schlafen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ihr Bruder wohnt in Berlin.«
»Dann laß uns doch zu dritt ausgehen. Von mir aus auch zu viert. Wenn ihr Bruder Lust hat …«
»Sei mir nicht böse, Karl. Aber wir möchten uns gern allein treffen. Verstehst du doch, hm?«
Karl sah zwar nicht besonders glücklich aus, aber er nickte. Das war das Schöne an ihm: Er hatte immer und für alles Verständnis. Und ich log, ohne mit der Wimper zu zucken – wo ich schon mal so gut in Form war.
*
Messerschmidt hatte es geschafft. Ich saß heulend auf der Damentoilette des Studiogebäudes und wünschte mich weit weg. Warum tat ich mir das bloß an? Weil ich Schulden bei Karl hatte? Weil ich glaubte, dieser Job wäre für den Fortgang meiner Karriere
Weitere Kostenlose Bücher